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N A. B | Der Osterstreit | ||||
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Die Ostertafeln des Victorius hatten in vielen Jahren doppelte Daten. Es lag allein in der Hand des Papstes, den richtigen Ostertermin zu bestimmen, eine Macht, die auch politisch genutzt wurde. Im Jahre 498 hatte der römische Senat den probyzantinischen Laurentius zum Gegenpapst gewählt, während sich Papst Symmachus für seine Politik gegen Konstantinopel der Unterstützung des Ostgotenkönigs Theoderich sicher war. Papst Symmachus suchte altrömische Grundsätze gegen die Orientalen durchzusetzen, auch in der Osterfrage. Im Jahre 501 fiel Ostersonntag sowohl nach der Tabelle des Victorius wie auch nach Rechnung der Alexandriner auf den 22. April. Die altrömische Supputatio legte Ostern auf den 25. März bei Luna 22, Luna XIV paschalis fiel daher auf den 17. März. Symmachus wollte Macht demonstrieren. Gegen alle auch in Rom inzwischen üblichen Konzessionen in der Osterfrage legte er Ostern auf den 25. März. Dies war das letzte Mal, dass in Rom Ostern nach der alten Supputatio bestimmt wurde. Der Osterstreit war zu einem Kampfmittel in innerrömischen Machtkämpfen geworden.
Der im Juli 514 zum Papst gewählte Hormisdas mühte sich um einen Ausgleich innerhalb Roms und um bessere Beziehungen zu Konstantinopel. Im Jahr 519 gelang es ihm das nach Acacius benannte Schisma zu beenden. Die Einheit der Kirche auch in der Osterfrage war ihm wichtig. Wegen des Osterdatums 520 wandte er sich sowohl an den Bischof von Konstantinopel wie auch an die dortige päpstliche Gesandtschaft. Die Gesandten bestätigten, dass der vorgesehene 19. April auch im Osten der Ostersonntag sei und legten ein Schreiben des Bischofs Johann von Konstantinopel bei, der in den dortigen Osterannalen hatte nachsehen und auch sonst sorgfältige Nachforschungen hatte veranstalten lassen.[1] Eigentlich war das Osterdatum des Jahres 520 unproblematisch. Alexandria hatte den 19. April bei Luna XV, Victorius den gleichen Tag bei Luna XVI. Die besorgte Anfrage des Papstes zeigt zweierlei. Zum einen wollte man in Rom Einvernehmen in der Osterfrage, gleichzeitig war man sich aber nicht über die Einzelheiten des Berechnungen von Alexandria und Konstantinopel im Klaren und bat daher um genauere Informationen, die, wie der weitere Verlauf zeigt, auch gerne nach Rom geschickt wurden. Hormisdas verstarb bereits am 6. August 523. Schon eine Woche später wurde Johannes I. zu seinem Nachfolger gewählt. Ihm oblag es nun, die Ostertermine festzulegen, was natürlich immer in engen Zusammenarbeit mit der päpstlichen Kanzlei geschah. Aber auch seine Amtszeit war kurz. Vom arianischen König der Ostgoten Theoderich nach Konstantinopel geschickt, sollte er dort gegen die Verfolgung der Arianer durch den Kaiser protestieren, setzte sich aber in Byzanz wie bereits sein Vorgänger im Amt eher für eine Verständigung und Zusammenarbeit in allen Bereichen ein. Auf seiner Rückreise vom enttäuschten Theoderich in Ravenna gefangengesetzt, verstarb er dort am 15. Mai 526 in Haft.
In seine Amtszeit fiel die wohl wichtigste Weiterentwicklung der römischen Osterrechnung, die verbunden ist mit dem Namen Dionysius Exiguus. Der Vorsteher der päpstlichen Kanzlei, Primicerius Bonifacius, und sein Stellvertreter, der Secundicerius Bonus, die beiden höchsten Würdenträger der Kurie, hatten sich an ihn mit der Bitte gewandt, sich der Osterfrage anzunehmen.
Dionysius Exiguus, ein aus Skythien, das heisst aus dem Schwarzmeerraum, stammender Mönch, beherrschte das Lateinische genauso gut wie das Griechische. Später titulierte man ihn zuweilen auch als Abt, vermutlich aus dem ganz einfachen Grund, man es sich nicht vorstellen konnte, dass ein derart bedeutender Mann nur ein kleiner Mönch gewesen sein sollte. Als Wissenschaftler und Theologe genoss er hohes Ansehen. Von ihm stammen die in der Kirche sehr geschätzten systematischen Sammlungen der Konzilsbeschlüsse (canones ecclesiastici), einschliesslich der Canones der orientalischen Synoden, sowohl in lateinischer wie auch in griechischer Version. Ferner hatte er die Dekretalien (Verfügungen) der Päpste von Siricius (384-399) bis Anastasius II. (496-498) herausgegeben[2]. Somit war er wohl der beste Kenner der Regularien sowohl der orientalischen wie auch der occidentalen Kirche.[3]
Dionysius hatte uneingeschränkten Zugang zu den Archiven der Kurie. Bei seinen Arbeiten fand er eine Reihe von Dokumenten, die sich mit der Osterfrage auseinandersetzten, so den Schriftwechsel zum Osterstreit der Jahr 444 und 455. Ferner waren ihm die Dokumente und Abschriften bekannt, die erst auf Veranlassung von Papst Hormisdas aus Byzans nach Rom gebracht worden waren. Soweit erforderlich übersetzte er sie ins Lateinische, überarbeitete und kommentierte sie. Er verfasste sein Werk im Jahr 525 der von ihm eingeführten Zählung der Jahre nach der Inkarnation des Herrn, Indiktion III, Konsulat des Probrius. Diese Jahr verwendet er häufig in seinen Musterrechnungen als Beispiel. Seine Arbeit über die alexandrinische Osterrechnung kann man in fünf Abschnitte unterteilen:
Dionysius teilte die Ergebnisse seiner Forschungen zur Osterfrage zuerst in einem persönlich gehaltenem Brief, der gleichzeitig das Vorwort seiner Ostertabelle ist, einem Bischof Petronius mit, über den sonst nichts bekannt ist. Eine Abschrift dieses Schreibens legte er der Kurienverwaltung vor, wie aus seinem Brief an Bonifacius und Bonus ersichtlich ist.
Im Vorwort erläuterte er die Grundzüge der alexandrinischen Osterrechnung wobei er, dies betont er immer wieder, in allem den 318 ehrwürdigen Bischöfen folge, die in Nikäa zusammengetroffen waren. Sie hätten die Beachtung der Luna XIV paschalis durch einen festen sich immer wiederholenden Zyklus von 19 Jahren festgelegt, eher infolge ihrer Erleuchtung durch den Heiligen Geist als durch Erfahrung in weltlichen Dingen. Später seien einige aus Überheblichkeit und Unwissenheit, beeinflusst durch jüdische Fabeln, hiervon abgewichen, was zu erheblichen Irrtümern in der Osterberechnung geführt habe.
Dionysius führt die von ihm fortgeführte Ostertafel direkt auf Nikäa zurück: Der selige Athanasius, Erzbischof von Alexandria, der selbst beim Konzil von Nikäa als Diakon und Berater des heiligen Bischofs Alexander anwesend war, anschliessend Theophil und Cyrill, sie alle seien nie im geringsten von den Beschlüssen des Konzils abgewichen. Vielmehr hätten sie den 19jährigen Zyklus sorgfältig bewahrt. Theophil habe eine 100jährige Tafeln gefertigt, gewidmet dem Kaiser selbst, Cyrill eine von 95 Jahren, beide gefertigt nach der Tradition des heiligen Konzils. Letztere laufe in sechs Jahren aus. Daher habe er die Tafel des Cyrill nach dessen Vorgaben, oder genauer gesagt, nach den Regeln des Konzils von Nikäa um fünf weitere Zyklen von je 19 Jahren verlängert.
Die Tabelle des Cyrill fängt an mit dem Jahr 153 und endet mit dem Jahr 247 der "anni Dicletiani", der "Jahre nach (dem Regierungsantritt) des Diokletian", seine Fortsetzung der Tafel beginne daher mit dem Jahr 258 dieses Mannes, den man eher als Tyrannen denn als Herrscher bezeichnen müsse. Da er, Dionysius, aber seine Osterzyklen nicht mit der Erinnerung an diesen gottlosen Verfolger (der Christen) verknüpfen wolle, habe er sich entschlossen, die Jahre "nach der Fleischwerdung unseres Herrn Jesus Christus" zu notieren, "damit dadurch der Ausgangspunkt unser Hoffnung offenkundiger werde und der Grund der menschlichen Wiederherstellung, das Leiden unseres Erlösers, klarer hervorleuchte".
Dionysius weist seinen Leser ausdrücklich darauf hin, dass diese von ihm gefertigte Tabelle sich nach Ablauf der 95 Jahre nicht in allen Punkten wiederholt. Die Zählung der Jahre nach der Inkarnation (Spalte 1 der Tabelle) laufe kontinuierlich weiter. Die Indiktionen (Spalte 2) folge einem 15jährigen Zyklus. Die Epakten (Spalte 3) das sind die 11 Zusatztage für jedes Jahr, die sich innerhalb einer Grenze von 30 Tagen bewegen, folgen einem Zyklus von 19 Jahren. Dies gelte auch für die Luna XIV paschalis (Spalte 6), nicht jedoch für die Konkurrenten (Spalte 4), das Osterdatum (Spalte 7) und die Luna des Ostertages (Spalte 8). Die Konkurrenten, die vom Sonnenjahr abhängen, und die durch den Zyklus von sieben Tagen begrenzt sind, erhöhten sich jedes Jahr um eins, in Schaltjahren um zwei. Dies bewirke, dass nicht in allen Spalten die Daten sich nach 95 Jahren wiederholen. Daher müsse man nach Ablauf von 95 Jahren den nächsten Zyklus sorgfältig neu berechnen.
Auf die genaue Erklärung des Begriffes "erster Monat" legt Dionysius grossen Wert. Viele Irrtümer haben, wie er erläutert, ihren Grund darin, dass man den Beginn des Ostermonats nicht richtig gekannt habe. Er zitiert das Alte Testament (Exodus 12:2 und 12:18 sowie Deut. 16:1) und folgert aus diesen Stellen, Ostern sei zu feiern im ersten Monat im Zeitraum vom Abend des 14. Tages bis zum 21. Tag. Da aber in der Heiligen Schrift nichts über den Beginn und das Ende dieses Monats gesagt werde, seien die erwähnten 318 Bischöfe (in Nikäa), wie im siebten Buch der Kirchengeschichte beschrieben, nach sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beginn des ersten Monats in den Zeitraum 8. März bis 5. April fallen müsse. Die Luna XIV müsse daher in der Zeit vom 21. März bis zum 18. April gesucht werden, dieser grosse Abstand zum Äquinoktium ist eine Folge des ungleichmässigen Laufes der Sonne. Die Orientalen und besonders die Ägypter, die in diesen Berechnungen besonders bewandert sind, gingen immer vom 21. März aus. Wenn Luna XIV auf einen Samstag (21. März) falle, sei Ostern am folgenden Sonntag dem 22. März zu feiern, was nur einmal in 95 Jahren vorkomme. Das Konzil habe auch zweifelsfrei bekräftigt, dass eine Luna XIV, die vor dem 21. März zu liegen kommt, nicht für den Ostertermin herangezogen werden könne, da dieser Tag nicht im ersten sondern im letzten Monat (des Vorjahres) liege.
Dionysius will dann noch einen weiteren immer wieder vorkommenden Irrtum berichtigen: Einige glaubten, der Mond würde für einen vollständigen Umlauf genau 30 Tage benötigen. Sie rechnen 12 Mondmonate zu 360 Tagen, fügen dann 5 Tage hinzu, die man im Altertum Zusatztage nannte, um zu einem Ausgleich mit dem Sonnenjahr zu kommen. Eine genaue Untersuchung zeige jedoch, dass zwei Mondmonate nicht 60 sondern nur 59 Tage umfassen. 12 Mondmonate ergeben daher 354 Tage, denen die Ägypter die jährlichen Epakten, nämlich 11 Tage anhängen, um den Unterschied zwischen Mondjahr und Sonnenjahr auszugleichen. Bei dem, was nun folgt, dürfte Dionysius den Victorius im Auge gehabt haben: Luna XIV sei nach den Rechenvorschriften der Ägypter zu bestimmen, so gehe aus den Schriften der Väter klar und deutlich hervor. Einige seinen davon abgewichen und hätten eigene Berechnungen angestellt. Bei ihnen komme es häufig vor, dass sie dorthin, wo die erwähnten Väter Luna XIV gesetzt haben, Luna XV hinstellen, und anstelle von Luna XXI Luna XXII setzen. Wir aber, fährt er fort, deren ganze Liebe und Sorge der christlichen Religion gilt, dürfen von der Vorgabe so vieler Bischöfe nicht das geringste abweichen, sondern haben den von ihnen aufgestellten Regeln sorgfältig zu folgen.
Im folgenden Abschnitt zitiert Dionysius ausführlich aus den Akten des Konzils von Antiochia aus dem Jahre 431. Hier wird allen, die gegen die Beschlüsse des Konzils von Nikäa in der Osterfrage verstossen, die Exkommunikation angedroht. Dies gilt auch für Laien. Wenn aber ein Würdenträger der Kirche es wagen sollte, mit den Juden das Passa zu feiern, soll er nicht nur von seinem Amt entfernt werden, sondern auch alle die weiterhin mit ihm kommunizieren. Auch Papst Leo habe sich im gleichen Sinne geäussert.
Dionysius glaubt nun zur Genüge klargestellt zu haben, dass Ostern nicht anders gefeiert werden könne, als wie von den heiligen Vätern in Nikäa festgelegt. Viele, darunter auch der bereits erwähnte Bischof Athanasius, haben dies als allgemein bekannt betrachtet. Dann spricht Dionysus noch einmal den Brief des Proterius an Papst Leo aus dem Jahre 454 an, den er in Übersetzung beilegen möchte, und weist auf die Argumente hin, die er im Anschluss an die Tabelle bringt und mit deren Hilfe man leicht die einzelnen Osterkennzeichen bestimmen könne.
Im päpstlichen Archiv gab es sicher noch immer die Ostertafel des alexandrinischen Patriarchen Theophilus, die schon Papst Leo zitiert hatte. Sie umfasste allerdings nur die Jahre 380 bis 480, war also bereits abgelaufen. Dionysius stand nun eine weitere Ostertabelle zur Verfügung, die erst vor kurzem auf Veranlassung von Papst Hormidas nach Rom gelangt war. Diese Tafel wurde dem Nachfolger und Neffen des Theophilus, dem Patriarchen Cyrillus, zugeschrieben. Sie reichte vom Jahre 437 bis zum Jahre 531. Es blieben somit bis zum Ablauf der Tabelle noch sechs Jahre übrig. Dionysius übertrug den letzten Zyklus von 19 Jahren ins Lateinische. Da es offensichtlich keine Fortsetzung gab, entschloss sich Dionysius, die Tabelle des Cyrill einfach für 95 weitere Jahre fortzuschreiben, für ihn sicher keine allzu schwierige Aufgabe.
Die Tabelle enthielt insgesamt acht Spalten:
Die Zählung der Jahren
Die Tabelle des Cyrill zählte die Jahre ab Regierungsantritt Kaiser Diokletians (anni Diocletiani) und dies gibt Dionysius auch korrekt in seiner Übertragung Tafel wieder. Für die von ihm gefertigte Fortsetzung wollte er diese Zählung aber nicht übernehmen. Es ist ihm zu glauben, wenn er in seinem Brief an Petronius schreibt, es widerstrebe ihm eine Tafel des heiligen Osterfestes mit dem Gedächtnis an diesen gottlosen Tyrannen zu verbinden. In diesem Brief heisst es:
Die Indiktion
Bei der Indiktion handelt es sich um einen Zyklus von 15 Jahren, der vermutlich zu Steuerzwecken zu Beginn des vierten Jahrhunderts im Ostreich offiziell eingeführt worden war, und der nach 396 auch vereinzelt in abendländischen Datumsangaben Anwendung fand[4]. Die Tabelle des Dionysius trug viel zu ihrer Beliebtheit im Westen bei, denn da im Westen bis zum Ende des Mittelalters die Zählung der Jahre nach Regenten allgemein üblich war, bot die Indiktion eine hervorragende Möglichkeit, Unsicherheiten bei Datumsangaben zu vermeiden.
Die Epakten
Auch den Begriff der Epakten führt Dionysius als erster im Westen ein. Den griechischen Ausdruck "ημεραι
επακται" übersetzt er mit "dies adiectiones". Sie wurden im Mittelalter eines der wichtigsten Merkmale für die Osterberechnung. Eigentlich benötigt man sie überhaupt nicht für die Osterrechnung, sie verstellen im Gegenteil eher den Blick auf die Klarheit und Einfachheit der alexandrinischen Osterberechnung.
Die Konkurrenten
Die Konkurrenten oder Sonnenepakten sind notwendig, um den Wochentag zu bestimmen, insbesondere den Wochentag von Luna XIV. Sie geben den Wochentag des 24. März an. In einem Jahr mit Konkurrente 4 hat der 24. März Feria IV, ist also ein Mittwoch. Sie wiederholen sich alle 28 Jahre. Im Computus der Alexandriner werden sie Tentyon genannt und bezeichnen dort den Wochentag des 30. Mechir, der dem 24. Februar (in einem Gemeinjahr) entspricht. Was im ägyptischen Kalender sinnvoll war, passte nicht zum römischen. Dennoch übernahm Dionysius diese Konkurrenten unverändert von den Alexandrinern.
Der Mondzyklus
Der Ostertabelle des Dionysius liegt der sogenannte "cyclus decennovenalis", der 19jährige Mondzyklus der Alexandriner zugrunde. Dies wird allein dadurch schon bewiesen, dass er seine Tabelle mit dem Jahr 532 beginnen lässt. Mit diesem Jahr beginnt nicht nur ein neuer Zyklus sondern auch ein neuer "grosser Osterzyklus von 532 Jahren. Auffällig ist daher, dass in der Tafel selbst dieser Zyklus nicht verzeichnet ist sondern der sogenannte "cyclus lunaris", auch byzantinischer oder jüdischer Zyklus genannt, der um drei Jahre gegen den alexandrinischen Zyklus verschoben ist.
Die Luna XIV paschalis
Die Luna XIV des Ostermonats ist das Kernstück jeder Ostertabelle. Sie wiederholt sich alle 19 Jahre
Das Osterdatum, die Luna des Ostersonntags
Aus der Luna XIV und den Konkurrenten eines Jahres lässt sich leicht der Ostersonntag und die Luna des Ostersonntag ermitteln.
Offensichtlich hatte Rom aus Konstantinopel nicht nur eine aktuelle Ostertafel erhalten sondern auch eine Beschreibung von Rechenregeln, mit deren Hilfe man die Kennzahlen eines jeden beliebigen Jahres ermitteln konnte, das heisst die Daten, die in den einzelnen Spalten der Ostertafel verzeichnet sind: das Jahr der christlichen Ära, die Indiktion, die Epakten, die Konkurrenten, der Mondzirkel, der 19jährigen Zyklus, die Luna XIV und die Luna des Ostersonntags. Dionysius übertrug auch diese "Argumenta" der Ägypter, das ist der Alexandriner, ins Lateinische, damit wie er in seinem Vorwort schreibt, auch diejenigen, die noch unerfahren seien, leicht die Osterkennzeichen ermitteln könnten. Hier bewies er seine Meisterschaft, denn es genügte ja nicht, die Rechenregeln der Alexandriner nur zu übersetzen, er musste sie auch dem römischen Kalender mit seinen ungleichen Monatslängen und vor allem mit dem Schalttag mitten im Jahr anpassen und natürlich auch der von ihm neu geschaffenen Jahreszählung. Hierfür waren mathematischem Kenntnisse erforderlich, die zu dieser Zeit nicht selbstverständlich waren.
Diese Argumenta Paschalis wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder kopiert und dabei von den Schreibern, die ihr eigenes Wissen einbringen wollten, auch erweitert und abgeändert worden. Heute ist es schwer ist aus der Vielzahl der teils recht verderbten Handschriften den originalen Kern herauszufinden. Nur die Argumenta I - IX können von Dionysius selbst stammen, wobei auch hier jeweils der zweite Abschnitt von Argumentum III und IV sowie der dritte Abschnitt von Argumentum IX spätere Einfügungen sind. Die restlichen Argumente, die im Laufe der Jahre von verschiedenen Autoren hinzugefügt wurden, werden in der Literatur häufig als "Pseudo-Dionysius" bezeichnet. Fraglich ist auch, ob das Argumtentum VII (De luna decima quarta mense Martio vel mense Aprili) von Dionysius zuzuschreiben ist.
Die ursprüngliche Form der Argumenta ist wohl in einer ersten Bearbeitung aus dem Jahr 562 zu sehen. Sie wurde fälschlicherweise Cassiodor zugeschrieben. siehe: Cassiodorus: Computus paschalis
Die Veröffentlichungen des Dionysius wurden von der Kurie aufmerksam verfolgt. Der bis dahin geheim gehaltene Brief des Pascasinus an Papst Leo[5], in dem dieser ausführlich auf die Abfolge von Schaltjahren und Gemeinjahren im Mondjahr eingeht und auch den Begriff der Ogdoade einführt, war nicht leicht zu verstehen. Offensichtlich wollte man dies genauer erklärt haben.
In einem Brief an die beiden obersten Würdenträger der Kurie, den Primicerius Bonifacius und den Secundicerius Bonus erläutert Dionysius die Struktur des 19jährigen alexandrinischen Zyklus. Zu Beginn verweist er auf seinen Brief an Bischof Petronius, der der päpstliche Verwaltung bekannt war. Dionysius legt ausführlich dar, wie sich der 19jährige Zyklus aus zwei Teilzyklen zusammensetzt, der Ogdoade und der Endekade, um dann die Reihenfolge der Gemeinjahre und Schaltjahre aufzuzählen.Die folgende Tabelle soll dies anschaulich machen:
C steht für Gemeinjahr (annus communis)
E steht für Schaltjahr (annus embolismus)
19jähriger Zyklus | ||||||||||||||||||
1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 |
C | C | E | C | C | E | C | E | C | C | E | C | C | E | C | C | E | C | E |
Ogdoade | Endecade |
Dionysius erläutert, dass ein Schaltjahr aus 12 Mondmonaten zu abwechselnd 29 und 30 Tagen esteht, somit 354 Tage umfasse. Ein Schaltjahr habe einen zusätzlichen Monat von 30 Tagen, zähle daher 384 Tage. Darauf folgt eine Rechnung, die nicht korrekt ist.
Hier hat sich hier ein grundlegender Fehler eingeschlichen, der immer wieder, selbst bei modernen Berechnungen, vorkommt. Der Schalttag in jedem vierten Jahr verlängert Sonnenjahr und Mondjahr gleichermassen. Wenn der Februar 19 Tage hat, hat das Sonnenjahr 366 Tage und das Mondjahr 355 oder 385 Tage, je nachdem, ob es ein Gemeinjahr oder ein Schaltjahr ist. Der Schalttag darf daher bei einer Vergleichsrechnung nicht berücksichtigt werden. In dem obigen Zitat muss daher "et quadrantes" gestrichen werden. Dies ergibt folgende Rechnung:
Ogdoade: 5 Gemeinjahre 5 * 354 = 1770 Tage 3 Schaltjahre 3 * 384 = 1152 Tage Summe 2922 Tage 8 Sonnenjahre 8 * 365 = 2920 Tage Überschuss: 2 Tage Endecade: 7 Gemeinjahre 7 * 354 = 2478Tage 4 Schaltjahre 4 * 384 = 1536 Tage Summe 4014 Tage 11 Sonnenjahre 11 * 365 = 4015 Tage Defizit: 1 Tage Es bleibt ein Überschuss im Mondjahr vom einem Tag, dieser wird zu Ende des Zyklus durch den Saltus Lunae ausgeglichen.
Dionysius geht mit seinen Erläuterungen der Schalt- und Gemeinjahre im Mondkalender noch weiter. Er stellt eine Tabelle zusammen, von der er annimmt, sie würde die Abfolge der Schaltungen eindeutig erklären. Hierbei berechnet er die Tage von Luna XV des Vorjahres bis Luna XIV des laufenden Jahres. Beispielsweise liegt im 2. Zyklusjahr Luna XIV am 25. März. Er berechnet nun die Tage von Luna XV des 1. Zyklusjahr (5. April) bis zu diesem Tag. Dionysius ist zu dieser seltsamen Darstellung gezwungen, weil der Schaltmonat immer vor dem Ostermonat eingeschoben wird. Daher kann er das Zyklusjahr nicht mit dem Ostermonat beginnen lassen. Bei den Alexandriner war dies alles kein Problem. Das Sonnenjahr begann im Herbst mit dem 1. Thot, am 29. August des julianischen Kalenders, nach einem Schaltjahr am 30. August. Im Mondkalender lag daher der Schaltmonat vor dem ersten Monat des Mondjahres, das Mondjahr begann immer in der Zeit 12/13 September bis 10/11 Oktober. Vom 1. Tag des Mondjahres bis zu Luna XIV des Ostermonats sind es immer 190 Tage. Dies erklärt leicht die Schaltregel und die Regelung der Epakten. Bei der Übertragung der alexandrinischen Rechnung auf den römischen Kalender geht diese Klarheit verloren.[6]
In diesem Abschnitt geht Dionysius auch noch kurz auf den Saltus ein. Er schreibt, da das letzten Zyklusjahr die Epakte 18 habe muss man für das 1. Zyklusjahr nicht 11, wie in allen anderen Jahren, sondern 12 hinzuzählen, und kommt somit auf 30. Da diese 30 Tage an den Schluss gelegt werden, gibt es zu Beginn des Zyklus keine Epakte. In der Tabelle greift er zu einem kleinen Trick, indem er im ersten Zyklusjahr nicht wie sonst von der Luna XV des Vorjahres ausgeht sondern von Luna XIV.
Man darf die folgende Tabelle nicht missverstehen. Sie zeigt nicht Beginn und Ende eines Zyklusjahres, eines Mondjahres oder eines Sonnenjahres an, sie dient einzig und allein dazu, die Lage der Schaltjahre zu verdeutlichen.
ZA | ZB | von Luna XV Vorjahr |
bis Luna XIV |
Tage | |
1 | 17 | 17. April | 5. April | C | 354 |
2 | 18 | 6. April | 25. März | C | 354 |
3 | 19 | 26. März | 13. April | E | 384 |
4 | 1 | 14. April | 2. April | C | 354 |
5 | 2 | 3. April | 22. März | C | 354 |
6 | 3 | 23. März | 10. April | E | 384 |
7 | 4 | 11. April | 30. März | C | 354 |
8 | 5 | 31. März | 18. April | E | 384 |
9 | 6 | 19. April | 7. April | C | 354 |
10 | 7 | 8. April | 27. März | C | 354 |
11 | 8 | 28. März | 15. April | E | 384 |
12 | 9 | 16. April | 4. April | C | 354 |
13 | 10 | 5. April | 24. März | C | 354 |
14 | 11 | 25. März | 12. April | E | 384 |
15 | 12 | 13. April | 1. April | C | 354 |
16 | 13 | 2. April | 21. März | C | 354 |
17 | 14 | 22. März | 9. April | E | 384 |
18 | 15 | 11. April | 29.März | C | 354 |
19 | 16 | 30. März | 17. April | E | 384 |
Dionysius publizierte noch weitere Dokumente zur Osterberechnung. Da ist einmal der bereits erwähnte Brief des Pascasinus, Bischof von Lilybaeum, zum Osterstreit von 455, der dahin geheimgehalten wurde,[7] hatte dieser doch auf die Fehler der römischen Osterrechnung hingewiesen und die Ansetzung von Alexandria für korrekt erklärt. Auch den Schriftwechsel zum Osterstreit des Jahres 455.[8] veröffentlichte er. Besonderes Interesse fand in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten vor allem das Schreiben des alexandrinischen Patriarchen Proterius vom Mai 454, das Dionysius neu übersetzte.[9] In dieser Bearbeitung wurde es in der Folgezeit häufig kopiert und wurde zu einer der wichtigen Quellen der mittelalterlichen Komputistik.
Dionysius schrieb nicht irgendeine Abhandlung über das Osterfest wie viele vor ihm. Er war Wissenschaftler und veröffentlichte eine umfassende Arbeit über die Osterrechnung Alexandrias, die er mit einer Edition der Quellen verband.
Von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Diskussionen über das Osterdatum in Rom in diesen Jahren ist eine Vorlage des Leiters der päpstlichen Kanzlei an den Papst Johannes zur Luna des Ostersonntags 526. Dieses Jahr bot eigentlich keine Probleme. Victorius hatte den 19. April bei Luna XXII verzeichnet, die Alexandriner feierten am gleichen Tag Ostern bei Luna XXI.[10]
Anliegen des Bonifacius war es, dem Papst die korrekte Luna des Ostersonntags mitzuteilen. Zu Beginn seines Berichtes an den Papst beruft sich Bonifacius auf die Autorität des Konzils von Nikäa, auf dem die seligen Väter den 19jährigen Zyklus der Griechen zur Bestimmung der Luna XIV einstimmig anerkannt hätten (unianimiter adprobasse). Er folgt dabei sinngemäss, wenn auch nicht wörtlich den Ausführungen des Dionysius, ohne ihn allerdings namentlich zu erwähnen. Dies legt die Vermutung nahe, dass er die gleiche Vorlage wie Dionysius hatte, die mit den anderen Unterlagen von Konstantinopel geschickt worden waren.
Dann geht Bonifacius auf den Ostertag des kommenden Jahres 526 ein. Da Luna XIV nach dem Zyklus auf Sonntag den 12. April falle, Ostern aber niemals an Luna XIV selbst gefeiert werden dürfe, muss es auf den folgenden Sonntag, den 19. April, Luna XXI, verschoben werden. Nun berechnet er die Luna nach den Argumente der Ägypter. Seine Rechenmethode weicht von der des Dionysius deutlich ab, kommt aber zu dem gleichen Ergebnis:
Die Formel ist bei Dionysius klarer und einfacher formuliert:
Dionysius Bonifacius 7 + 2 = 9 23 + 4 = 27 9 + 23 = 32 [Epakte: 23] 27 + 19 = 46 32 + 19 = 51 [Tag im Monat: 19] 46 + 5 = 51 51 - 30 = 21 51 - 30 = 21 Der Ostersonntag 526 hat nach beiden Berechnungen Luna XXI
Diese unterschiedlich Berechnung der Luna beweist eindeutig, dass Bonifacius seine Methode nicht von Dionysius übernommen haben kann, sondern dass er die gleiche griechische Vorlage benutzte, die er dann selbständig umsetzte.
Bleibt noch die Frage zu klären, warum der Leiter der Kurienverwaltung in dieser eher nebensächlichen Angelegenheit dem Papst einen so ausführlichen Bericht vorlegt. Der Brief stammt vom Ende des Jahres 525, er muss geschrieben worden sein kurz bevor der Papst als erster Bischof von Rom nach Konstantinopel abreiste. Diese ausführliche Darlegung soll zeigen, dass die römische Osteransetzung bis ins kleinste Detail mit der byzantinisch-alexandrinischen übereinstimmt, und sie soll auch belegen, dass es bezüglich der Interpretation der Beschlüsse von Nikäa in der Osterfrage nicht die geringste Verschiedenheit zwischen Rom und Konstantinopel gibt. Es ist durchaus bemerkenswert, dass zeitgleich mit den Ausführungen des Dionysius auch die Kurie davon überzeugt ist, dass das Konzil von Nikäa den alexandrinischen Osterzyklus als kanonisch vorgeschrieben hat.
Die Wissenschaftler der Neuzeit stellten Dionysius Exiguus in ein sehr schlechtes Licht. Für sie war er ein Lügner und Betrüger. Schon die ersten Herausgeber seiner Schriften unterstellten ihm eine "pia fraus", einen frommen Betrug, späteren Generationen war er ein mit allen Tricks arbeitender Fanatiker[12]. Noch weiter ging McCarthy 1901, der gar von "one of the most audicious falsifications on record"[13] sprach.
Stein des Anstosses ist in erster Linie die fortwährende Berufung des Dionysius auf das Konzil von Nikäa. In den Akten dieses Konzils finden sich wie oben erwähnt[14] keine konkreten Vorschriften, wie das Osterdatums zu bestimmen sei. Niemand wusste dies besser als Dionysius, schliesslich hatte er selbst die Akten im Original editiert und eine lateinische Übersetzung hinzugefügt. Bis heute werden sie nach seiner Ausgabe zitiert[15].
Allerdings sollte man bei diesen Vorwürfen etwas genauer differenzieren. Zu Beginn seines Briefes an Petronius drückt sich Dionysius noch recht vorsichtig aus: die Väter des Konzils von Nikäa hätten die Beachtung/Bestimmung der Luna XIV paschalis durch einen festen sich in 19 Jahren wiederholenden Zyklus festgelegt (fixerunt). Diese Regel hätten sie erleuchtet durch den Heiligen Geist sanktioniert (sancxerunt). Es bleibt offen, ob dies dahingehend ausgelegt werden muss, Nikäa habe ausschliesslich den 19jährigen Zyklus zugelassen. Man kann nur eine gewisse Bevorzugung des 19jährigen Zykllus daraus ableiten. Rom hatte ja schliesslich seit Victorius ebenfalls einen 19jährigen Zyklus.
Auch in seinem Schreiben an Bonifacius und Bonus formuliert er ähnlich vorsichtig. Diese Stelle ähnelt sehr dem Beginn des Briefes von Proterius an Papst Leo: "Sed beatissimi patres nostri cyclum decennovenalem certius affigentes, quem violari impossibile est, velut crepidinem ac fundamentum, et regulam, hunc decennovenalem conpotum statuerunt, non iuxta Iudeorum nunc indoctas atque ineptissimas actiones neque secundum externorum putativam fictamque prudentiam, sed per gratiam spiritus sancti instituti, in revolutione sepe memorati decennovenalis circuli decimas XIIII paschales lunas diligentius annotarunt." Proterius spricht mehrfach von "beatissimi patres nostri" er meint damit immer, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, seine Vorgänger im Amt, die Patriarchen von Alexandria, vor allem Theophil. Dionysius lässt das "nostri" weg und so kann man dann darunter durchaus auch die Väter des Konzils von Nikäa verstehen.[16]
Er stellt eine direkte Kette der Überlieferung von Nikäa bis zu seiner eigenen Tabelle auf. Athanasius, in Nikäa anwesend, habe den alexandrinischen Osterzyklus genau nach den Bestimmungen des Konzils angewandt, seine Nachfolger Theophil und Cyrill hätten auf diesen Grundlagen ihre Zyklen von 100 und 95 Jahren veröffentlicht, die er nun fortgeschrieben habe, ganz nach den Regeln des Cyrill, oder genauer gesagt, nach den Regeln von Nikäa. Dies ist erst einmal korrekt, denn niemand bestreitet, das die Osterberechnung Alexandrias sich an die Regeln von Nikäa hält. Auf die entscheidenden Frage, ob auch die andere Berechnungsmodelle wie die supputatio romana oder der Zyklus des Victorius mit Nikäa vereinbar seien, geht er nicht ein.
Ferner versucht Dionysius, seine Behauptungen durch weitere Quellen zu belegen. Er führt Canon I des Konzils von Antiochia aus dem Jahre 341 an, in dem die Beschlüsse von Nikäa in der Osterfrage bestätigt werden. Dort heisst es allerdings nur, man solle das Passah nicht mit den Juden feiern. Allerdings werden die Strafbestimmung verschärft. Auch all diejenigen sollen nun exkommuniziert werden, die lediglich die kirchliche Gemeinschaft mit den Quartadecimaniern weiter pflegen.[17]. Über irgendwelche Vorschriften zur Berechnung des Festdatums wird hier nichts gesagt.
Noch problematisch ist eine andere Stelle. In seinem Brief an Petronius schreibt er, die 318 Bischöfe von Nikäa hätten als Grenze für den Beginn des Ostermonats den Zeitraum 8. März bis 5. April festgelegt, somit müsse Luna XIV in den Zeitraum 21. März bis 18. April fallen. Wäre dem so, wäre dies ein schwerer Vorwurf gegen die Bischöfe von Rom, die diese Grenzen bisher nie anerkannt hatten. Damit würde er den Vorwurf erheben, man habe in Rom von Anfang an vorsätzlich gegen die Beschlüsse von Nikäa verstossen. Dionysius nennt auch eine Quelle, nämlich das 7. Buch der Kirchengeschichte. Gemeint sein kann nur Eusebius oder Rufinus. Die Kirchengeschichte des Rufinus behandelt das Konzil von Nikäa in Buch 1. In Kapitel 6 geht Rufinus auf die Canones des Konzils ein, die Osterfrage wird nicht erwähnt. Kapitel 7 handelt von Helena, der Mutter Kaiser Konstantins[18] Die Kirchengeschichte des Eusebius endet vor Nikäa. In Buch 7, Kapitel 20 schreibt er allerdings:
Die Meinung, Nikäa habe die alexandrinische Osterrechnung für alle Christen verbindlich vorgeschrieben, war schon lange vor Dionysius im Umlauf. Bereits Papst Leo hatte in seinem Schreiben an den Kaiser vom 15. Juni 453, in dem er sich bitter über die alexandrinische Osteransetzung für das Jahr 455 beschwerte, ähnliche Formulierungen gebraucht wie nun Dionysius:
Dionysius stand mit seiner Ansicht nicht alleine da, sie wurde zumindest damals unter den Päpsten Hormisdas und Johannes auch vom apostolischen Stuhl geteilt. In seinem Schreiben an den Papst vom Ende des Jahres 525 beruft sich Primicerius Bonifacius bei seiner Berechnung der Luna ebenfalls auf Nikäa: "Suggero igitur apostolatui vestro, beatissimos patres in Niceno concilio decennovennalem ciclum, quem Greci eneakedecyderida nominant, unianimiter adprobasse," Diese Formulierung ist denen des Dionysius ähnlich, aber sie stimmt nicht so genau überein, als dass sie einfach abgeschrieben worden sein könnte.
Dionysius hat sich keineswegs irgendwelche Fälschungen ausgedacht, welchen Vorteil hätte ihm die bringen sollen? Es war nicht seine Aufgabe, eine neue Osterrechnung zu entwickeln wie vor ihm Victorius. Vielmehr sollte er die alexandrinische Rechnung erklären und sie für die Römer handhabbar machen. Bei seinen Ausführungen verliess er sich auf seine Quellen, vielleicht hat er nicht immer kritisch genug gearbeitet und einiges ungeprüft übernommen. Erst spätere Generationen haben seine Feststellungen dann weiter zugespitzt[22].
Noch in einem anderen Punkt wird Dionysius eine Fälschung vorgeworfen. Eduard Schwartz geht davon aus, er habe auch die Ostertafel des Cyrill gefälscht. Als Beweis führt er an, der Zyklus sehe durchaus nicht echt alexandrinisch aus. Man könnte allenfalls darüber hinwegsehen, dass die Daten nur nach dem römischen Kalender gegeben sind, aber die Umwandlung von Epakte 30 in 0 und die Bezifferung der Jahre nach der constantinopler Manier seien schwere Indizien gegen die Echtheit. Zudem hätten weder Papst Leo noch Patriarch Proterius in ihrem Briefwechsel zum Osterstreit des Jahres 455 auf eine Tafel des Kyrill hingewiesen. "Ich halte es demnach für sicher, dass diese cyrillische Ostertafel eine Fälschung ist."[23]
Die von ihm vorgebrachten Indizien können nicht überzeugen. Wie eine echt alexandrinische Tafel auszusehen habe wird nicht gesagt. Das griechische Original, das Dionysius vorlag, ist verschollen. Natürlich sind die Daten in der Bearbeitung durch Dionysius nur nach dem römischen Kalender angegeben, denn genau dies war seine Aufgabe. Niemandem wäre gedient gewesen, hätte Dionysius auch noch die Daten nach der alexandrinischen Zeitrechnung angeführt, die kannte in Rom keiner.
Dann kommt eines der Lieblingsthemen von Schwartz, die Epakte 30. Sie findet sich in den Quellen nicht. In den Osterbriefen des Athanasius ist die Liste der Epakten durchaus fehlerhaft, Schwartz hat sie verbessert. Die Epakte 30 hat er erschlossen oder besser gesagt erfunden. In der von ihm aufgrund der Festbriefe des Athanasius rekonstruierten Ostertabelle steht sowohl beim Jahr 342 wie auch beim Jahr 361 jeweils Epakte 29. Schwartz wandelt dies in Epakte 30 um mit der Begründung: "Der Saltus lunae ist nicht beachtet"[24]. Eine Epakte 30 kann es nicht geben und die Angabe 29 ist sicher kein Irrtum der Schreiber. Der Zyklus des Anatolius setzt im 9. Jahr, das dem 1. Jahr des kanonischen alexandrinischen Zyklus entspricht, die Luna XIV auf den 6. April, so auch Schwartz in seiner Rekonstruktion[25], und zum 6. April gehört Epakte 29.
Unverständlich ist auch seine Behauptung, die Jahreszahlen seien "nach constantiopler Manier" angegeben. Die Zählung der Jahre nach Diokletian ist ägyptisch. Schliesslich hatte Ägyten diesem Kaiser einiges zu verdanken, in Byzans war sie nicht gebräuchlich[26]. Dass die Tafel des Cyrill im Osterstreit von 455 nicht erwähnt wird versteht sich von selbst. Proterius hat in seinem Schreiben ausführlich aus dem Prolog der Tafel des Theophil zitiert, in dem dieser die alexandrinische Osterrechnung ausführlich mit den Evangelien begründet. Diese Tafel reichte bis 480. Warum hätte er in diesen Streit eine zweite Tafel einführen sollen, die inhaltlich, nicht was den Zeitrahmen betrifft, von der des Theophil nicht abweicht.
Die Unterstellung einer Fälschung der Ostertafel des Cyrill darf heute als widerlegt gelten.[27] Welchen Sinn hätte es auch gemacht. Die Systematik der alexandrinischen Ostertafeln war klar und einfach, Dionysius hätte auch jederzeit die Tafel des Theophilus fortschreiben können. Ihm lag nun aber diese Schrift vor, ob sie auch von Cyrill selbst stammte oder nicht ist letztendlich gleichgültig. Sie kam aus Konstantinopel, dort wurde auch der "Cyclus lunaris" der Byzantiner eingefügt, der gegenüber dem alexandrinischen Zyklus um drei Jahre verschoben ist. Vermutlich wurde sie kurz vor 525 zur Zeit von Papst Hormisdas in Konstantinopel kopiert. An ihrer grundsätzlichen Echtheit ändert dies nichts. Und auch die Argumenta Aegyptiorum, die damals wohl ebenfalls nach Rom kamen, haben ihren Ursprung in Alexandria. Sie sind auf den ägyptischen Kalender zugeschnitten, wie nicht zuletzt der Brief des Bonifacius an den Papst beweist.
Weithin bekannt wurde Dionysius durch die von ihm eingeführte Jahreszählung. Nicht selten ist zu lesen, Dionysius habe eine neue Zeitrechnung geschaffen, die mit dem 1. Januar des Jahres 1 nach Christus beginne. Auch hier widerfährt ihm grosses Unrecht. Dionysius wollte keine neue Zeitrechnung einführen und hat dies auch nicht getan. Er stand wie bereits vor ihm Victorius vor der Frage, wie er in seiner Ostertabelle die Jahre bezeichnen solle. Es ist ihm zu glauben, dass ihm die Zählung der Jahre nach Diokletian, der in seinen Augen ein Tyrann und gottloser Christenverfolger war, zuwider war und er nach einer Benennung der Jahre suchte, die ihm Zusammenhang mit seinem Glauben, mit dem Leben und Sterben Jesu Christi stand.
Victorius hatte die Jahre nach der Passio gezählt und diese in das Jahr 28 gelegt, das er für das Konsulat der beiden Gemini hielt. Dionysius wollte dies nicht übernehmen. Vielleicht hatte er die Rechenfehler des Victorius erkannt, auf jeden Fall passten seiner Meinung nach biblische Überlieferung und die Osterdaten für das Jahr 28 nicht zusammen.
Angeboten hätte sich eine Weltära, eine Zählung ab dem Jahr der Schöpfung. Die Ägypter besassen bereits eine, Ende des vierten oder zu Beginn des fünften Jahrhunderts von dem alexandrinischen Mönch Panadoros entwickelt. Sie begann mit dem 1. Thot der Jahres 1, der auf den 29. August des Jahres 5493 vor Christus (29. 8. -5492 astronomischer Zählung) gesetzt wurde. Dieses Jahr 1 der Schöpfung war auch das erste Jahr eines 19jährigen Mondzirkels sowie eines 28jährigen Sonnenzirkel, somit der Beginn eines grossen Osterzyklus von 532 Jahren. Es ist der Ausgangpunkt des Computus der Ägypter.
Viele Kirchenväter haben versucht eine Weltchronologie zu entwickeln, Strobel zählt einig davon auf[28] Eine gewisse Übereinstimmung herrschte darüber, das Jesus geboren wurde, nachdem die erste Hälfte der fünften Jahrtausend verflossen war. Als Geburtsjahr wird also das Jahr 5501, in seltenen Fällen auch das Jahr 5500 betrachtet. Ferner war die Überzeugung weit verbreitet, Jesus sei gekreuzigt worden im Konsulatsjahr der beiden Gemini, das ist im Jahr 29 p.Chr.n. Dieser Jahr passt hervorragend zu den Überlieferungen. Ostersonntag war am 27. März, der Karfreitag fiel folglich auf den 25. März. Nach dem Lukasevangelium (3, 23) war Jesus, "da er anfing ungefähr 30 Jahre alt". Die synoptischen Evangelien fassen sein Wirken in einer sehr kurzen Zeitspanne zusammen. Bei seinem Tod stand er daher ungefähr im 31. Lebensjahr. Sein Todesjahr war daher das Jahr 5531 der Weltära. Sein Geburtsjahr ist dieser Rechnung nach das Jahr 2 a.Ch.n.
Dionysius stellte nun fest, dass diese Theorien nicht zu seiner Ostertafel passen. Betrachtet man die Daten der Ostertabelle für die in Frage kommenden Jahr 558 bis 568, die ja identisch sind mit denen der Jahre 26 bis 36, so kommt als Todesjahr nur das Jahr 31/563 in Frage. Ostern fällt auf den 25. März, den Tag, der schon seit langen als der Tag der Auferstehung betrachtet wurde. Dionysius musste das Todesjahr gegenüber den bisherigen Rechnungen um zwei Jahre von 29 auf 31 verschieben und daher auch das Jahr 5501 der Weltära, das Jahr der Geburt Jesu, vom Jahr 2 a.Chr.n. auf das Jahr 1 p.Chr.n legen. Und da die Rechnung nach Jahren seit der Erschaffung der Welt recht unbequem ist und auch die Zählung der Jahre nach der Geburt Jesu Christi besser zu einer Ostertabelle passt, nahm er anstelle von 5501 "annus mundi" die Bezeichnung 1 "annus ab incarnatione Domini nostri Iesu Christi". Letztendlich tat er nichts anderes, als in der ersten Zeile seiner Ostertafel den 10. Pharmuti 248 der Ägypter durch den 5. April 532 zu ersetzen und von da ab kontinuierlich fortzuzählen. Dionysius war nicht der erste, der die Fleischwerdung Christi in dieses Jahr setzt.[29]
Dadurch begann seiner Tabelle mit dem Jahr 532. Die Zahl 532 lässt sich durch 19 (Mondzirkel) und 28 (Sonnenzirkel) ohne Rest teilen, kann als Beginn eines grossen Osterzyklus betrachtet werden, für Dionysius sicher eine Bestätigung seiner Rechnung.
Hippolyt hatte einst den 25. März als den Tag der Geburt und des Todes Jesu betrachtet. Inzwischen war in Rom die Weihnachtsfeier am Wintersolstitium (8 kal. Ian = 25. Dezember) eingeführt, der Tag des Frühlingsäquinoktiums (8 kal Apr. = 25. März) war zum Tag der Empfängnis geworden. Unter "incarnatio" hatte Dionysius mit Sicherheit die Empfängnis verstanden, nicht die Geburt. Später wurde seine Angabe verkürzt in "anni Domini nostri ", um dann zu "Jahre nach Christi Geburt" zu werden. Da Empfängnis und Geburt nach dem römischen Kalender in das gleiche Kalenderjahr fallen, spielt dies alles keine Rolle. Jesus wurde nach der Darstellung des Dionysius am 25. März der Jahres 1 empfangen und am 25. Dezember des gleichen Jahres geboren. Er ist auferstanden am 25. März des Jahres 31. Mit keinem Wort teilt Dionysius mit, wie er zu dieser Zählung kam. Damit verhinderte er auch, dass ihm irgend jemand einen Rechenfehler vorwerfen kann. Eines ist sicher, als Quellen kamen für Dionysius nur christliche Überlieferungen in Frage. Man sollte nicht auf die absurde Idee verfallen, zu glauben, irgendwelche astronomischen Berechnungen hätten eine Rolle gespielt. Man kannte damals in Rom keine Astronomie, wollte sich auch nicht damit beschäftigen, lehnte sie als heidnisch ab. Die Werke der grossen heidnischen Astronomen wie Ptolemaios oder Theon waren im damaligen Rom unbekannt.
Eine Bestätigung hätte Dionysius übrigens auch im Chronographen des Jahres 354 finden können, wo beim Jahr 754 a. u. c. = 1 post Christum unter den Konsuln Caesar und Paulus verzeichnet ist: "Hoc cons. dominus Iesus Christus natus est viii kal. Ian d. Ven. Luna XV", es sei denn dieser Hinweis ist eine spätere Zutat jenes Schreibers, der auch von diesem Jahr ab die Jahreszählung nach Dionysius gebraucht.[30] Nebenbei bemerkt, der 25. Dezember des Jahres 1 war ein Sonntag.
Dionysius hat keine neue Zeitrechnung eingeführt, er übertrug lediglich die Osterdaten des ägyptischen Kalenders auf die in Rom einzig bekannte Zeitrechnung, den julianischen Kalender. Der Jahresanfang am 1. Januar, der Schalttag im Februar alle vier Jahre, all dies war durch das römische Recht vorgegeben. Für Dionysius war dies so selbstverständlich, dass er mit keinem Wort darauf einging. Er setzte dann in seiner Ostertabelle das Jahr 247 der Alexandriner gleich mit dem Jahr 532 der Jahre nach der Fleischwerdung des Herrn, nicht mehr und nicht weniger. Ausserhalb der Osterberechnung tauchte diese Jahreszählung lange nicht auf, auch Dionysius benutzte sie nie für irgendwelche anderen Datierungen. Erst im hohen Mittelalter finden sich vereinzelt Datierungen nach der Jahreszählung des Dionysius im weltlichen Bereich.
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