Startseite Glossar Gästebuch Forum Impressum FAQ Inhalt

N A. B Das Ruzname des Darendeli Mehmed Efendi
Osmanische Ruznames
 
voriges Kapitel zurück Inhaltsverzeichnis Literaturverzeichnis weiter nächstes Kapitel

Chronologische Grundlagen des Ruzname

Das Ruzname, dieser immerwährende Kalender, ist eine Sammlung von Daten der beiden im Osmanischen Reich gebräuchlichen Zeitrechnungen, nämlich des auf einem Mondjahr beruhenden islamischen Kalenders und des Sonnenjahres des türkischen Rumi-Kalenders. So ist es möglich, diese beiden Zeitrechnungen miteinander in Verbindung zu setzen und Daten von einem der beiden Kalender in den anderen umzurechnen. Grundlage hierfür ist die christliche Osterrechnung, der Computus ecclesiasticus.

Das Mondjahr

Unter dem Mondjahr des Ruznames wird wohl jeder Benutzer die islamische Zeitrechnung verstehen. Allerdings kommt das Wort "islamisch" nie vor, wofür es gute Gründe gibt. Der islamische Kalender richtet sich, folgt man streng den Vorschriften der Rechtsgelehrten, allein nach dem Augenschein. Ein neuer Monat beginnt, wenn erstmals nach Neumond die Mondsichel am Abendhimmel wieder zu sehen ist. Zwar gab es schon immer auch im voraus festgelegte Kalender, ihnen lagen aber zumeist recht genaue astronomischen Berechnungen zugrunde, so zum Beispiel den Jahreskalendern, die dem osmanischen Sultan regelmässig zu Nowruz überreicht wurden.[1]. Auch der bekannte zyklische islamische Kalender mit einer Periode von 30 Jahren bringt eine sehr gute Übereinstimmung mit dem Mondlauf, war bei den Türken allerdings nur in den Jahren 1900 bis 1925 in Gebrauch.[2] Der im Ruzname verwendete 19jährige Zyklus ist dem gegenüber viel ungenauer. Um allen Ärger mit der orthodoxen islamischen Geistlichkeit, besonders auch bei der Festlegung des Fastenmonats Ramadan, aus dem Wege zu gehen, spricht das Ruzname nur von Mondmonaten oder von "arabischen" Monaten. Dass der islamische Kalender gemeint ist, geht daraus hervor, dass alle Jahre nur zwölf Monate haben, und dass die Monate die bekannten Namen des islamischen Kalender tragen.

1 Muharram ﻡﺮﺤﻤﻟﺍ al-Muharram
2 Safar ﺮﻔﺻ Safar
3 Rabi I ﻝﻭﻻﺍ ﻊﻴﺑﺭ Rabi' al-awwal
4 Rabi II ﻰﻧﺎﺜﻠﺍ ﻊﻴﺑﺭ Rabi' ath-thani
5 Dschumada I ﻰﻠﻮﻠﺍ ﻯﺩﺎﻤﺟ Dschumada l-ula
6 Dschumada II ﻪﻴﻧﺎﻠﺍ ﻯﺩﺎﻤﺟ Dschumada th-thaniyya
7 Radschab ﺐﺟﺭ Radschab
8 Schaban ﻥﺎﺒﻌﺷ Scha'ban
9 Ramadan ﻥﺎﻀﻣﺭ Ramadan
10 Schawwal ﻝﺍﻮﺷ Schawwal
11 Dhulqada ﻩﺪﻌﻘﻟﺍ ﻭﺫ Dhu l-qa'da
12 Dhuhidscha ﻪﺠﺤﻟﺍ ﻭﺫ Dhu l-hidschdscha

 

Das Sonnenjahr

Der islamische Mondkalender bei dem jeder Tag in 33 Jahren alle Jahreszeiten durchläuft, ist für die Landwirtschaft und die Erhebung von Abgaben denkbar ungeeignet. So behielt die osmanische Steuerverwaltung nach der Eroberung des byzantinischen Reiches die alten jahreszeitlich gebunden Steuertermine bei, benutzte somit intern den alten Kalender weiter. Dieser byzantinische Kalender ist identisch mit dem julianischen, sieht man davon ab, dass die Griechen eine eigene Jahreszählung hatten, die mit dem Jahr der Schöpfung begann, und dass sie das Jahr mit dem 1. September beginnen liessen. Im Türkischen wird er zumeist als Rumi-Kalender bezeichnet Rumi bedeutet wörtlich "römisch", wobei die Türken damit immer "oströmisch", "byzantinisch" meinten. Zuweilen spricht man auch vom Maliye-Kalender (Steuerkalender) und vom Maliyejahr (Finanzjahr). Die Osmanen passten ihren Finanzkalender leicht an. Anstelle der griechischen Namen verwendeten sie die syrisch-arabischen Monatsnamen, die im Osten eine lange Tradition hatten. Sie lauten im Ruzname:

Die Monatsnamen:
deutsch arabisch / osmanisch türkisch heutige Form
September ﻝﻮﻠﻳﺍ   ayluleylūleylül
Oktober ﻝﻭﺍ ﻦ ﻳﺮﺸﺗ tischrin-i awwalteşrinievvel /birinci teşrinekim
November ﻰﻧﺎﺘ ﻦﻳﺮﺸﺗ tischrin-i thaniteşrinisani / inkinci teşrin kasım
Dezember ﻝﻭﺍ ﻥﻮﻧﺍﻛ kānūn-i awwalkānunuevvel / birinci kānun aralık
Januar ﻰﻧﺎﺘ ﻥﻮﻧﺍﻛ kānūn-i thani kānunussani / ikinci kānun ocak
Februar ﻁﺎﺒﺷ schubatşubatşubat
März ﺭﺫﺁ / ﺕﺭﺎﻣ adhar / martmartmart
April ﻥﺎﺴﻴﻧ nīsānnisannisan
Mai ﺭﺎﻳﺍ / ﺲﻳﺎﻣ ayyar / mayıs mayısmayıs
Juni ﻥﺍﺮﻳﺰﺣ hazīrānhaziranhaziran
Juli ﺯﻮﻤﺗ temmuztemmuztemmuz
August ﺏﺁ / ﺱﻮﺘﺴﻏﺍ āb / ağustosağustosağustos

In der deutschen Übersetzung werden vereinfachend immer nur die Bezeichnungen Kanun I, Kanun II, Tischrin I und Tischrin II anstelle der sehr umständlicheren arabischen Namenen verwendet.

Auch die griechische Jahreszählung wurde geändert. Man nahm einfach die Jahreszahl des parallel laufenden islamischen Jahres. Am Anfang könnte dies das Jahr gewesen sein, bei dem die grösste Übereinstimmung vorlag. Spätesten im Jahr 1677, als die Praxis der Steuerverwaltung für den Verwaltungsbereich offiziell anerkannt wurde, verlegte man den Jahresbeginn auf den 1. März und beschloss, nun dem Finanzjahr die Jahreszahl desjenigen islamischen Jahres zu geben, in das der 1. März fällt. Da nun das islamische Mondjahr rund 11 Tage kürzer ist als das Sonnenjahr des julianischen Kalenders, musste alle 33 Jahre eine Jahreszahl übersprungen werden. Diese "nicht vorhandenen" Jahre nannt man Siwischjahre. In der Jahrestabelle des Ruzname sind in diesem Fall zwei Zahlen in eine Zelle geschrieben.

Ab dem 18. Jahrhundert wurde das türkische Finanzjahr immer wichtiger und verdrängte allmählichen den islamischen Kalender immer mehr in den religiösen Bereich..[3].

Die Osterrechnung

Der wichtigste Feiertag der Christen ist das Osterfest, die Jahrfeier der Auferstehung Jesu Christi, die nach den Evangelien am Sonntag nach dem Passah der Juden stattfand. Nach dem Alten Testament[4] war das Passahlamm am 14. Tag des ersten Monats, des Frühlingsmonats Ab, der später Nisan genannt wurde, zu schlachten. Der 14. Tag eines Mondmonats ist der Vollmondtag. Die Christen versuchten nun, dieses Datum unabhängig von den Juden zu bestimmen. Mitte des 3. Jahrhunderts führte der aus Alexandria stammende gelehrte Bischof Anatolius hierfür den seit dem Altertum bekannten 19jährigen Mondzirkel ein. Dieser geht davon aus, dass 235 Mondmonate, das sind 12 Mondjahre zu zwölf Monaten und sieben Schaltjahre zu 13 Mondmonaten, genau 19 Sonnenjahren entsprechen, jede Mondphase also nach 19 Jahren wieder auf den gleichen Tag im Sonnenjahr fällt. Im ersten Jahr des Mondzyklus fällt der 14. Nisan, die Luna XIV oder auch der "Frühlingsvollmond" auf den 5. April. Da ein Mondjahr 11 Tage kürzer ist als ein Sonnenjahr, liegt dieser Vollmond im Folgejahr am 25. März, ein weiteres Jahr später würde er auf den 14. März fallen. Dieser Tag liegt aber vor dem Frühlingsanfang, daher ist der folgende Vollmond am 13. April zu nehmen, also ein Schaltmonat einzuschieben. Dies wiederholt sich bis zum 19. Zyklusjahr, dann allerdings muss man 12 Tage zurückgehen, um wieder auf das Ausgangsdatum zu kommen.

Es war naheliegend, diese Tabelle der Ostervollmonde zu einem vollständigen lunisolaren Kalender weiter zu entwickeln. Dies geschah in Alexandria zu Beginn des fünften Jahrhunderts. Dabei bestimmte man auch den Ausgangspunkt des Kalenders, das Jahr der Schöpfung. Der 1. Thoth 1 dieser alexandrinischen Weltära entspricht dem 29. August 5493 vor Chr. (29. 8. -5492 astronomischer Zählung). Dieses Jahr 1 war auch das erste Jahr eines 19jährigen Mondzyklus.[5]

Einige Jahrzehnte später veränderten die Byzantiner diese Rechnung leicht. Ihnen war wichtig, dass ihr Kalender mit dem ersten Jahr eines 15jährigen Indiktionszyklus beginnt. Dafür mussten sie das Jahr der Schöpfung um 16 Jahre vorverlegen, der byzantinische Kalender beginnt daher am 1. September 5509 vor Chr. (1. 9. -5508 astr. Zählung)[6]. Die Zählung der Zyklusjahre ist um 16 oder 3 gegenüber der alexandrinischen Zählung verschoben, die Daten selbst sind identisch, allerdings galt in Alexandria das ägyptische Sonnenjahr, in Byzanz hingegen der julianische Kalender.

Im Jahr 525 übersetzte der römische Mönch Dionysius Exiguus eine Ostertafel, die kurz vorher der Kurie vom byzantinischen Patriarchen zugeschickt worden war. Sie war geordent nach dem Zyklus der Alexandriner, der byzantinische Zyklus war aber ebenfalls vermerkt.[7]. Ein Jahrhundert später schrieb der Kirchenvater Beda Venerabilis sein Werk über die Zeitrechnung und wird damit zum eigentlichen Begründer der abendländischen Osterrechnung, dem Computus ecclesiasticus. Seine Ostertafeln enthalten sowohl die alexandrinische wie auch die byzantinische Zählung des Mondzirkels.

Die osmanischen Ruznames nutzen diesen Computus, passen die Daten jedoch dem tatsächlichen Mondstand an. Hierzu mehr in Abschnitt IV

Die Uhrzeit

Im Islam beginnt der Tag mit Sonnenuntergang. In der offiziellen Zeitrechnung des Osmanischen Reiches war dies der Moment, da der Mittelpunkt der Sonne genau im Horizont steht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Sonne vor einem "idealen" Horizont, also zum Beispiel an einer Küste, noch voll sichtbar. Der untere Sonnenrand berüht gerade den Horizont Der Grund ist, dass zum einem die Hälfte die Sonne noch über dem Horizont steht und dass zum anderen die sogenannte Refraktion, die Brechung der Strahlen in den unteren Luftschichten, eine Lichtquelle in Horizontnähe höher erscheinen lässt, als sie in Wirklichkeit ist. Von diesem astronomisch berechneten Sonnenuntergang aus wird der Tag in zweimal 12 Stunden unterteilt. Man beginnt mit 12:00 Uhr und zählt über 01:00 Uhr weiter bis 11:59 Uhr. Dies sind die Nachtstunden, im Zweifelsfall gekennzeichnet mit dem Zusatz schab (persisch: Nacht). Dann beginnen die 12 Tagstunden, die gegebenenfalls den Zusatz ruz (persisch: Tag) tragen. Der Zeitpunkt 2 Uhr Tagstunden liegt also 14 Stunden nach Sonnenuntergang. Nicht berücksichtigt wird, dass in der Zeit von der Wintersonnwende bis zu Sonnensonnwende jeder Tag rund zwei Minuten länger ist als der Vortag, und von da ab wieder täglich zwei Minuten kürzer. Die Muslime mussten ihre Uhren also jeden Abend dementsprechend vor oder zurück stellen. [8].

Hinweise zur Umrechnung von Weltzeit (GMT) in osmanisch-islamische Zeit bringt auch des entsprechende Umrechnungsprogamm im Anhang. Zum Umrechnungsprogramm

 

weiter



Fussnoten

1↑ Siehe zum Beispiel Gerhard Behrens: An Ottoman Calendar
2↑ siehe hierzu auch den entsprechenden Absatz in dem Artikel Die islamische Zeitrechnung
3↑ Ausführlich dargestellt wird der türkische Finanzkalender in dem Artikel Das türkische Finanzjahr
4↑ Die Ereignisse werden geschildert im 2. Buch Moses, Kapitel 12.
5↑ Ausführlich dargestellt in den Artikeln Der Computus der Alexandriner und Äthiopier und Die Zeitrechnung der Alexandriner / Kopten und der Abessinier / Äthiopier
6↑ [vgl. z.B. Ginzel, III, S. 292]
7↑ siehe die Artikel Osterstreit, Dionysius Exiguus und Osterstreit, Anhang,Ciclus ab incarnatione..
8↑ siehe auch Die Unterteilung des Tages.


Startseite Glossar Gästebuch Forum Impressum FAQ Inhalt

© 2012 Nikolaus A. Bär   e-mail zur E-mail Adresse