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N A. B Das Ruzname des Darendeli Mehmed Efendi
Chronologische Grundlagen
 
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Osmanische Ruznames

Die Entstehung und Entwicklung osmanischer Ruznames ist mit zwei Namen verbunden: Scheich Vefa und Darendeli Mehmed Efendi.

Scheich Vefa

Die Idee, die christliche Osterrechnung, den "computus ecclesiasticus", auf die Zeitrechnungen im islamischen Reich der Osmanen zu übertragen, dürfte wohl von Scheich Vefa herrühren, zumindest stammen von ihm die ältesten Ruzname. Muslih al-Din Mustafa ibn Ahmad al-Sadri al-Qunawi, so sein voller Name, wurde um 1410 in Konya geboren. Nach seiner Grundausbildung zog er nach Edirne, später ging er mit Sultan Mehmed dem Eroberer (1451-1481) nach Konstantinopel. Vefa soll in allen Wissenschaften bewandert gewesen sein und genoss beim Herrscher und bei der Bevölkerung als Scheich des Seiniyeordens grosse Beliebtheit. Beim Tode Mehmed II. schwenkte er schnell in das Lager von Bayazid ein und leitete sogar die Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Herrscher.[1] Noch mehr als sein Vorgänger förderte Bayazid ihn und so gelangte er zu einem nicht unerheblichen Reichtum, der ihm sogar die Errichtung einer Moschee samt Medresse ermöglichte. 1491 im hohen Alter verstorben, wurde er hier beigesetzt. Die Türbe dieses beliebten Volksheiligen von Istanbul ist bis heute ein kleiner Wallfahrtsort.[2] Sein Ruzname wurde über Jahrhunderte hinweg immer wieder kopiert, selbst im Abendland war sein Werk bekannt. Der gelehrte Augsburger Stadtarzt Georg Hieronymus Welsch hatte 1676 die Tafeln des Scheich Vefa in Kupfer stechen und drucken lassen.[3])

Darendeli Mehmed Effendi

Gut 200 Jahre später wurde das Ruzname des Scheich Vefa von Darendeli Mehmed Efendi völlig neu überarbeitet. Muhammad ibn Umar ibn Uthman al-Darandawi al-Hanafi, so sein vollständiger Name in arabisierter Form, wie er in seinen auf Arabisch geschriebenen Werken verzeichnet ist, wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der kleinen Stadt Darende nahe der heutigen Provinzhauptstadt Malatya in Südanatolien geboren. Nach der üblichen Schulbildung in seiner Geburtsstadt zog er nach Mar'ash in Südwestanatolien, wo der in seiner Zeit hochgeachtete und geehrte hanafitische Rechtsgelehrte und Theologe Sacaqli-zade Mehmed Efendi (Sacaqli-zade Muhammad ibn Abu Bakr al-Mar'ashi al-Hanafi, verstorben 1733) wirkte, dessen Schüler er wurde. Zeit seines Lebens vertrat Mehmed Efendi diese Rechtsschule, wie auch sein Beiname al-Hanafi zeigt.

Zur Zeit von Sultan Ahmed III (1703 - 1730) kam Mehmed Efendi nach Konstantinopel, wo er an verschiedenen Hochschulen lehrte. Er war hoch angesehen, spielte in der Gesellschaft von Istanbul eine Rolle und wurde sogar mit der Verwaltung der Privatschatulle des Herrschers betraut, hatte also einige Zeil lang eine höhere Stellung in der Finanzverwaltung inne. Er verstarb während der Regierungszeit Mahmud I. (1730 - 54).

Unter Sultan Ahmed III. und seinem Grosswezir Nevshehirli Damad Ibrahim Pascha (1718 - 1730) entwickelte sich im Osmanischen Reich mit Zentrum Konstantinopel eine kulturellen Blüte, die später oft als Tulpenzeit bezeichnet wurde. Es kam zu einer regen Übersetzungstätigkeit aus dem Französischen und anderen europäischen Sprachen, aber auch aus dem Arabischen. 1726 wurde zum ersten Mal eine osmanische Druckerei in Istanbul eröffnet, die allerdings nicht allzu lange in Betrieb gewesen sein dürfte. Darendeli war in den literarischen Zirkeln Istanbuls vertreten und arbeitete mit an der Übersetzung der arabisch geschriebenen Enzyklopädie des 1452 verstorbenen Badr al-Din al-Ayni, ein Werk von 24 Bänden mit je über 200 Seiten.

Als Wissenschaftler und Hochschullehrer war Mehmed Efendi auf vielen Gebieten tätig. Er galt als Experte der Koranexegese (tafsir), lehrte Rhetorik, Philosophie und Logik, und beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Religion und Wissenschaft, speziell auch der Astronomie. Eines seiner Spezialgebiete war die 'ilm al-mikat, die Wissenschaft von der (islamischen) Zeitmessung So schrieb er eine Arbeit über den Quadranten und seine Bedeutung für die Berechnung der Gebetszeiten, der Tage und Monate nach den Vorschriften der Religion. Zahlreiche seiner Werke sind in den türkischen Bibliotheken vorhanden. [4]

Die Arbeit, die ihn nicht nur im Osmanischen Reich sondern auch im Abendland schnell berühmt machte, war sein immerwährender Kalender. Von seinem Vorgänger Scheich Vefa übernahm er nicht nur die Grundidee, die Anwendung der christlich byzantinischen Osterrechnung auf die Zeitrechnungen des Osmanischen Reiches, sondern auch einen Teil der Tabellen, fügte dem jedoch einiges hinzu und berechnete vor allem die Gebetszeiten sehr genau.

Gerade für Ausländer war das Ruzname des Darendeli Mehmed Efendi ein interessantes Objekt. Abbe Toderini ist in seinem 1789 erschienenem Buch über die türkische Literatur voll des Lobes.[5] In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann man dann, Schriftrollen mit dem Ruzname des Mehmed Efendi zu fertigen. Die Tabellen wurden auf einem Pergamentstreifen mit einer Breite von 8 bis 11 cm und einer Länge von 89 bis 110 cm der Reihe nach aufgemalt. Den Anfang der Streifen, teilweise auf einem dünnen Lederstreifen aufgeklebt, befestigte man an einem kleinen Holzstab zwischen zwei etwas grösseren Scheiben, die die Seiten der Rolle beim Transport schützten. Diese Kalenderrollen waren offensichtlich beliebte Reiseandenken. Zahlreiche Exemplare gelangten in den Westen, wo sie in Museen und Bibliotheken landeten. Noch heute wird immer wieder einmal eine Kalenderrolle des Darendeli Mehmed Efendi von Auktionshäusern zum Verkauf angeboten.

 

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Fussnoten

1↑ Babinger bezeichnet Scheich Vefa in diesem Zusammenhang sogar als "zwielichtige Gestalt". [Franz Babinger, Mehmed der Eroberer, München 1953, S. 447.]
2↑ Weitere Literatur zu Scheich Vefa zum Beispiel: Internetlink (Dieser namentlich nicht gekennzeichnete Artikel taucht auf mehreren Seiten im Internet auf).
Bilder seines Grabes u. a. bei flickr
3↑ siehe: Bibliographie: Quellen
4↑ Ihsan Fazlioglu, The Biographical Encyclopedia of Astronomers, New York, 2007, pp. 177-179: [Internetlink english oder Internetlink turkish.
5↑ Toderini (1790, deutsch) Bd. I S, 149 Link

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