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N A. B Astronomische Zeitbestimmung im Islam
Der Tag
Gliederung

Astronomische Zeitbestimmung im Islam

I. Der Tag

Die Stundeneinteilung

Die Unterteilung des Tages in zwei mal zwölf Stunden geht zurück auf die Babylonier. Sie entsprach ihrem sexagesimalem Rechensystem. So wie der Himmelskreis von 360 Grad in 12 Abschnitte zu je 30 Grad geteilt war, so war auch die Nacht, die Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang in 12 Stunden geteilt, und ebenso der Tag, die Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Tag- und Nachtstunden waren in Abhängigkeit von den Jahreszeiten unterschiedlich lang. Für eine Gesellschaft, die ihre Termine nach Schattenlängen und Sonnenstand festlegte, war dies angemessen und passend. Im christlichen Mittelalter wurden diese ungleich langen Stunden auch als "kanonische" Sunden bezeichnet, da in den Klöstern die Gebetszeiten nach ihnen bestimmt wurden. Ab dem 13. Jahrhundert wurden sie allmählich durch gleichlange Stunden, den sogenannten Äquinoktialstunden, verdrängt, eine Entwicklung, die vor allem auch durch die Verbreitung mechanischer Uhren gefördert worden war. [1]

In den islamischen Ländern verlief die Entwicklung ähnlich. Die Äquinotialstunden verdrängten allmählich die ungleich langen Stunden. Dies ist aber weniger auf die Einführung modernen Uhrentechnik zurückzuführen. Vielmehr hatten Astronomen begonnen, die wichtigsten Zeitpunkte, insbesondere die Gebetszeiten nach astronomischen Gesetzen zu berechnen, und hierfür brauchten sie gleichlange Stunden.

Die Gebetszeiten

Mitte des achten und Anfang des neunten Jahrhunderts entwickelten islamische Theologen und Rechtsgelehrte Regelwerke, in denen die Rechte und Pflichten eines jeden Gläubigen genau definiert sind, und die dem Grunde nach bis heute das Leben der Muslime regeln. Zu den Grundpflichten eines jeden Muslim gehört auch, fünfmal am Tag das Pflichtgebet, die salat, zu verrichten. hierfür gibt es genau festgelegte Zeiträume.

Das Abendgebet

Der Zeitraum für das Abendgebet beginnt, wenn der letze Sonnenstrahl unter dem Horizont verschwunden ist. Es endet mit dem Beginn des Nachtgebets.

Das Nachtgebet

Der Zeitraum des Nachtgebets beginnt, wenn die Nacht soweit hereingebrochen ist, dass bereits die drei hellsten Sterne sichtbar sind. Es endet mit dem Beginn des Morgengebets.

Das Morgengebet

Der Zeitraum des Morgengebets beginnt, wenn die Morgendämmerung soweit fortgeschritten ist, dass nur noch die drei hellsten Sterne sichtbar sind. Es endet in dem Moment, da der erste Sonnenstrahl sichtbar ist.

Das Mittagsgebet

Der Zeitraum des Mittagsgebets beginnt, wenn die Sonne ihren höchsten Punkt am Himmel überschritten hat. Es endet mit dem Beginn des Nachmittagsgebets.

Das Nachmittagsgebet

Über den Zeitpunkt, an dem das Nachmittagsgebet beginnt, gibt es unterschiedliche Meinungen. Am weitesten ist die Anschauung verbreitet, sein Beginn sei dann gekommen, wenn der Schatten eines senkrechten Gegenstandes gleich sei der Schattenlänge zu Mittag zuzüglich der wahren Länge dieses Gegenstandes. Die hanifitische Rechtsschule hingegen lehrt, erst wenn der Schatten eines Gegenstandes gleich der doppelten Länge des Gegenstandes zuzüglich der Schattenlänge zu Mittag sei, sei die Zeit des Beginns des Nachmittagsgebets erreicht. Das Nachmittagsgebet endet mit dem Beginn des Sonnenuntergangs

Die Schiiten kennen nur drei Plichtgebete, das Abendgebet, das Morgengebet und das Mittagsgebet. [2]

Anfang und Ende einer jeden Gebetszeit waren so definiert, dass jeder sie ohne irgendwelche Hilfsmittel direkt vom Firmament ablesen konnte. Uhren oder gar Astrolabien waren nicht erforderlich. Zur Bestimmung der Schattenlängen nahm man am besten seinen eigenen Körper als Massstab, wie dies schon vor dem Islam üblich war.

Die Zeitdefinitionen nach den Berechnungen der Astronomen

Nachdem die Abbasiden die Macht übernommen hatten, begann im islamischen Reich eine vorher kaum gekannte Blüte der Naturwissenschaften, von der Medizin und Biologie bis hin zur Geographie und Physik, im besonderen aber der Mathematik und der Astronomie. Die Erkenntnisse der Spätantike, vor allem des Werk des Ptolemäus, wurden vereint mit indischen Quellen wie dem Sindhind, das um 800 ins Arabische übersetzt wurde. Ein erster Höhepunkt in diesen Disziplinen ist verbunden mit dem Namen Muham Musa ibn al-Chworazmi, der in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Bagdad, dem Zentrum der Wissenschaften, forschte und lehrte. Dort wurde auch die Trigonometrie des Euklid weiterentwickelt zur sphärischen Trigonometrie, mit deren Hilfe man die Bewegungen der Sterne und der Sonne am Himmel genau bestimmen konnte. Man legte Tabellen für Winkelfunktionen an und erstellte Multiplikationstabellen, die das Rechnen vereinfachten. Obwohl das Dezimalsystem mit den "indischen" Ziffern seit Mitte des 9. Jahrhunderts bekannt war, blieben die Astronomen weiter bei dem Sexagesimalsystem, das schon Ptolemäus benutzte, und sie verwendeten weiterhin die Zahlenzeichen des arabischen Alphabets, das eine sehr kompakte Darstellung auch sehr grosser oder sehr kleiner Werte ermöglichte.[3] All dies schuf die Grundlage dafür, dass man nun für jeden Ort und für jeden Tag den Zeitpunkt für eine vorgegebenen Höhe der Sonne über oder unter den Horizont berechnen konnte. Tabellen für die Gebetszeiten entstanden.

Diese neue Art der Berechnung brachte eine grundlegende Änderung des bisherigen Zeitsystems mit sich. Der Beginn des Tages wurde neu definiert. War es bisher der Augenblick, da der letzte Sonnenstrahl verschwand, wurde nun der Moment genommen, da der Mittelpunkt der Sonne genau im Horizont steht (Sonnenhöhe ±0 Grad). Zu dieser Zeit ist die Sonne noch voll sichtbar. Zum einen steht die Hälfte der Sonnenscheibe noch über dem Horizont, zum anderen bewirkt die Refraktion, die Brechung der Lichtstrahlen in den Luftschichten, dass eine Lichtquelle in Horizontnähe höher erscheint, als sie in Wirklichkeit ist. Eine zweite Neuerung war, dass nun, wie bereits erwähnt, mit den gleichlangen Stunden gerechnet wurde, die ab dem 12. Jahrhundert die alten ungleichlangen Stunden verdrängten.

Die orthodoxe Geistlichkeit stand diesen Neuerungen ablehnend bis feindlich gegenüber, konnte ihren Siegeszug aber nicht verhindern. In den zentralen Moscheen der grossen Städte wurde ein eigenes Amt eingerichtet, das des muwaqqit, eines astronomisch und mathematisch gut ausgebildeten Mannes, der die Zeiten zu berechnen verstand. Im Osmanischen Reich errichtete man an vielen Moscheen kleine Anbauten, sogenannte muwaqqit-hane. Grosse vergitterte Fenster verwehren den Einblick von aussen, ermöglichen aber die Beobachtung des Himmels. Im Inneren befinden sich alle zur Zeitbestimmung notwendigen Instrumente. Im Iran und in Ägypten hingegen sieht man häufig auf den Dächern der Freitagsmoscheen an den Seiten offene Pavillone, goldasteh genannt. Von dort aus konnte der Muezzin vor Sonne und Regen geschützt den Himmel genau beobachten, seine Messungen vornehmen und dann auch gleich zum Gebet rufen.

Diese neue, im folgenden "islamisch" genannte Zeit bildete in den islamischen Ländern bis in das 20. Jahrhundert hinein die Grundlage der offiziellen Zeitbestimmung. Der Tag begann bei Sonnenuntergang, dann war es 12:00 Uhr. Von da aus wurde über 1:00 Uhr weiter gezählt bis man wieder bei 12 Uhr angelangt war, um dann mit der Zählung von vorne zu beginnen. Die ersten 12 Stunden wurden auch als Nachtstunden (persisch: schab) bezeichnet, die zweiten zwölf Stunden waren die Tagstunden (persisch ruz). Dies geschah ungeachtet der Tatsache, dass im Sommer die Nachtstunden bis weit in den hellen Tag hinein reichten, im Winter hingegen die Tagstunden bereits bei Dunkelheit begannen. Diese Zeitdefinition brachte auch Unannehmlichkeiten, vor allem, als genau gehende Uhren sich immer weiter verbreiteten. So musste man in der Zeit von der Wintersonnwende bis zur Sommersonnwende seine Uhr jeden Abend um eins bis drei Minuten vorstellen, um sie nach Sommerbeginn wieder jeden Tag um die gleiche Zeit zurückzudrehen.

Die Zeit à la franca

Nach römischen Recht beginnt der Tag um Mitternacht, um 12 Uhr mittags erreicht die Sonne ihren höchsten Stand. Dies war die Zeit des Römischen Reiches und später auch der Christen. Es ist dies die Zeit, die eine genau eingestellte Sonnenuhr zeigt. Auch im Islam war sie wohl bekannt, nicht nur unter Astronomen, die allerdings bis heute den Tag zumeist um 12:00 Uhr mittags beginnen lassen. Die zahlreichen christlichen Minderheit vor allem in den Kernlanden des Osmanischen Reiches und in Konstantinopel gebrauchten sie, nach 1700 auch die vielen Ausländer, die sich in der Hauptstadt aufhielten. Es wird berichtet, die Herren Ausländer seien gerne am Tophane flaniert, um ihre Uhren nach der dort angebrachten grossen Sonnenuhr zu richten.[4] Im Osmanischen Reich wurde diese Zeit daher auch als "à la franca" bezeichnet. Als im 19. Jahrhundert die Mode aufkam, Uhrtürme zu bauen, hatten diese häufig vier Zifferblätter, eines auf jeder Seite, von denen zwei die Zeit "à la turca" anzeigten, die beiden anderen die "à la franca".

Die Normalzeit

Die bisher besprochenen Zeiten waren Ortszeiten, galten also immer nur für Orte des gleichen Längengrades. Zudem richteten sie sich nach dem tatsächlichen Stand der Sonne und waren daher jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen. Ab 1780 wurde daher in den westlichen Ländern die Mittlere Zeit eingeführt, bei der diese Abweichungen herausgerechnet werden. Wenig später lösten dann Zonenzeiten die bisherigen Ortszeiten ab. [5]

Als in der Türkei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Eisenbahngesellschaften ihren Betrieb aufnahmen, benötigte man eine für das gesamte Streckennetz gültige einheitliche Zeit. Man wählte die mittlere Zeit des 30. Längengrades, das ist Istanbuler Zeit + 4 Minuten oder Londoner Zeit + 2 Stunden. Diese der modernen Technik angepasste neue Zeit benötigte man nicht nur für den Verkehr mit dem Ausland, für die Eisenbahnen, die Telegraphie oder die Kriegsführung, sie fand bald auch allgemeine Verbreitung. Die alte "islamische" Stundenzählung blieb allerdings bis Ende 1925 die offizielle bürgerliche Zeit, erst zum 1. Januar 1926 wurde auf den Tagesbeginn um Mitternacht und die mittlere Zeit des 30. Breitengrades (GMT + 2 Stunden) umgestellt.[6]


Fussnoten

1↑ Siehe hierzu auch den Artikel Die Unterteilung des Tages
2↑ Siehe hierzu auch den Artikel Die Gebetszeiten im Islam
3↑ Siehe hierzu auch den Artikel Das arabische Zahlenalphabet
4↑ So berichtet Toderini (deutsch) S. 152 Toderini /deutsch S. 152
5↑ Siehe hierzu auch die entsprechenden Absätze in den Artikeln Die Zeit und Die Unterteilung des Tages
6↑ Gesetzt Nr. 697 vom 26.12.1925 Internetlink oder Internetlink

 

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