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Der Rumi- oder Maliye- Kalender
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Das türkische Finanzjahr
Der Rumi- oder Maliye- Kalender

Die Einführung des Finanzkalenders

Das Osmanische Reich war ein islamischer Staat, es galt islamisches Recht und die islamische Zeitrechnung. Alle Datierungen in offiziellen Dokumenten, in den Annalen und Chroniken folgten ihr. Diesem islamischen Kalender liegt ein Mondjahr zu zwölf Monaten zugrunde, das Einfügen von Schaltmonaten verbietet der Koran. Jeder Monat beginnt an dem Abend, da erstmals nach Neumond die Mondsichel am Abendhimmel wieder sichtbar ist. Nach den strengen Vorschriften des islamischen Rechts ist der Augenschein massgebend. Der im Westen so bekannte zyklische islamische Kalender, der sich bis auf Al-Chorazmi zurückverfolgen lässt, war in islamischen Ländern nie in Gebrauch.[1]

Da nun zwölf Mondmonate rund 11 Tage kürzer sind als ein Sonnenjahr, verschieben sich die Monate gegen die Jahreszeiten. 33 Mondjahre entsprechen ungefähr 32 Sonnenjahren.[2] Für den Verwaltungsbereich, insbesondere für die Steuertermine ist ein derartiger Kalender denkbar ungeeignet. Überall trieb man Steuern und Abgaben dann ein, wenn man Aussicht auf Erfolg hatte, in Agrargesellschaften war dies kurz nach der Ernte der Fall, vorher war nichts zu holen. Aber auch im Handel spielten die Jahreszeiten eine grosse Rolle. Daher etablierten sich in islamischen Ländern für die Verwaltung eigenen Zeitrechnungen, zumeist auf Grundlage des vor der Islamisierung in der Region bereits bestehenden Sonnenjahres. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der iranische Kalender. Nach der Eroberung des Irans durch die Muslime wurde das alte Sonnenjahr der Sassaniden in der Verwaltung weitergeführt. 1079 führte der Seldschukenherrscher Dschelal ad-Din sogar eine Kalenderreform durch, das Jahr begann von da an mit dem Tag des Frühlingsbeginn. Dies gilt bis heute und die Verfassung der islamischen Republik Iran sagt in Artikel 17: "Sowohl der solare Kalender wie auch der islamische Kalender sind anerkannt, für staatliche Angelegenheiten gilt der solare Kalender." [3]

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts begann das kleine rumseldschukische Fürstentum der Osmanen zu expandieren, um sich in kürzester Zeit zu einer Weltmacht zu entwickeln. Die eroberten Gebiete gehörten vorher zum grossen Teil zum byzantinischen Reich mit seiner rein christlichen Bevölkerung. Viele der Unterworfenen behielten ihren alten Glauben und somit auch ihren alten Kalender mit der Osterrechnung bei. Diese griechisch-byzantinische Zeitrechnung ist identisch mit dem von Cäsar eingeführten und nach ihm benannten julianischen Kalender, sieht man einmal davon ab, dass die Byzantiner den Jahresanfang auf den 1. September gelegt hatten und dass sie eine Jahreszählung hatten, die mit dem Jahr der Schöpfung begann. Am 1. September 1453 nach Chr. begann das byzantinische Jahr 6962.

Byzanz war ein Staat mit wohlgeordneten Strukturen. Nicht weniges hiervon wurde von den Türken übernommen, vom Hofzeremoniell bis eben in die Steuerverwaltung. Die alten Steuertermine wurden beibehalten, es gab nichts besseres. Dies galt sowohl für die Zentralverwaltung in Konstantinopel, wo die Einnahmen aus allen Teilen des Reiches zusammenliefen, wie auch vor Ort in den Provinzen selbst, wo die Abgaben eingetrieben werden mussten. So wurde der christlich-byzantinische Kalender nahezu unverändert für Verwaltungszwecke weitergeführt. Er wurde als "rumi", also römisch, bezeichnet, worunter Ostrom, Byzanz, zu verstehen ist, oder aber auch als Finanzkalender, türkisch "maliye tarih".

Die Bezeichnung der Monate

Die griechischen Namen für die Monate waren den Türken fremd. Sie setzten an ihre Stelle die ihnen vertrauten syrisch-babylonischen Monatsnamen, die schon nahezu zwei Jahrtausende lang im Nahen Osten verbreitet waren. Im Laufe der Zeit wurden sie immer mehr dem Osmanischen angepasst, von den Lateinern übernommen Bezeichnungen kamen hinzu. Im Jahr 1945 wurde dann die endgültige "Türkisierung" der Namen verordnet.

Die Monatsnamen:
deutsch arabisch / osmanisch türkisch heutige Form
September ﻝﻮﻠﻳﺍ   ayluleylūleylül
Oktober ﻝﻭﺍ ﻦ ﻳﺮﺸﺗ tischrin-i awwalteşrinievvel /birinci teşrinekim
November ﻰﻧﺎﺘ ﻦﻳﺮﺸﺗ tischrin-i thaniteşrinisani / inkinci teşrin kasım
Dezember ﻝﻭﺍ ﻥﻮﻧﺍﻛ kānūn-i awwalkānunuevvel / birinci kānun aralık
Januar ﻰﻧﺎﺘ ﻥﻮﻧﺍﻛ kānūn-i thani kānunussani / ikinci kānun ocak
Februar ﻁﺎﺒﺷ schubatşubatşubat
März ﺕﺭﺎﻣ adhar / martmartmart
April ﻥﺎﺴﻴﻧ nīsānnisannisan
Mai ﺲﻳﺎﻣ ayyar / mayıs mayısmayıs
Juni ﻥﺍﺮﻳﺰﺣ hazīrānhaziranhaziran
Juli ﺯﻮﻤﺗ temmuztemmuztemmuz
August ﺱﻮﺘﺴﻏﺍ āb / ağustosağustosağustos

 

Die Zählung der Jahre und die Siwischjahre

Die auf einer christlichen Interpretation der Bibel beruhende Zählung der Jahr nach dem Jahr der Schöpfung kam für die Muslime nicht in Frage. Man kann davon ausgehen, dass in den Anfangszeiten der Jahreszahl keine allzu grosse Bedeutung beigemessen wurde. Man gab dem Finanzjahr einfach die Jahreszahl des parallel laufenden islamischen Jahres.

Bei dieser Jahreszählung gab es eine Schwierigkeit: Es wurde bereits gesagt, dass islamische Mondjahr etwa 11 Tage kürzer ist als das Sonnenjahr. Es entsprechen 33 Mondjahre circa 32 Sonnenjahre. Daher musste ungefähr alle 33 Jahre ein Jahr in der Zählung ausfallen. Derartige "nicht existenten" Jahre wurden als "Siwisch-Jahre" bezeichnet, abgeleitet von dem türkischen Wort siwischmek (ﻚﻤﺷﻮﻴﺳ), was so viel bedeutet wie "sich fortschleichen, entwischen". Wie die genaue Regelung vor dem 17. Jahrhundert war, ist bis heute ungeklärt.

Jahresanfang und Siwischjahre vor 1677

Joachim Mayr hat sich immer wieder mit dem türkischen Finanzjahr beschäftigt. Von ihm stammen auch die entsprechenden Tafeln der Neuauflage der Wüstenfeld-Mahler'schen Vergleichungstabellen aus dem Jahr 1961.[4] Er geht davon aus, dass ausschlaggebend war, welches islamisches Jahr die grösste Übereinstimmung mit dem Sonnenjahr hatte. Dies festzustellen ist nicht gerade leicht: Das Sonnenjahr hat 365 Tage, die Hälfte davon sind 182,5 Tage. Fallen also mehr als 182 Tage des Mondjahres in das Finanzjahr, so trägt dieses die Jahreszahl des laufenden Mondjahres, fallen hingegen 182 oder weniger Tage in das Finanzjahr so trägt dieses die Jahreszahl des folgenden islamischen Jahres. Der entscheidende Tag ist der 24. Dschumada II (24. 6.) des islamischen Jahres. Von diesem Tag aus sind es 183 Tage bis zum folgenden 1. Muharram (1. 1.).

Nach Mayr gilt daher folgende Regel: Fällt Neujahr des Maliyejahres auf den 24. Dschumada II des Hidschrajahres oder früher, erhält das Maliyejahr die Jahreszahl des laufenden Jahres, fällt Neujahr hingegen auf den 25. Dschumada II oder später, erhält das Maliyejahr die Jahreszahl des folgenden Hidschrajahres.

Beispiel 1a:

Siwischjahr 885
1. September 1479 gleich 14. Dschumada II 884, das sind 193 Tage in 884 und 172 Tage in 885
1. September 1480 gleich 26. Dschumada II 885, das sind 181 Tage in 885 und 184 Tage in 886
Das am 1. September 1479 beginnende Finanzjahr erhielt die Jahreszahl 884, das folgende Jahr die Jahreszahl 886. Ein Finanzjahr 885 gab es nicht.

Beispiel 1b:

Siwischjahr 1020
1. September 1610 gleich 23. Dschumada II 1019, das sind 184 Tage in 1019 und 181 Tage in 1020
1. September 1611 gleich 4. Radschab 1020, das sind 174 Tage in 885 und 191 Tage in 886
Das am 1. September 1610 beginnende Finanzjahr erhieltlt die Jahreszahl 1019, das folgende Jahr die Jahreszahl 1021. Ein Finanzjahr 1020 gibt es nicht.

Alternative

Diese Berechnung ist recht umständlich und praxisfern. Zu nahezu der gleichen Abfolge der Soiwischjahre kommt man auch, wenn man als Beginn des Finanzjahrs den 1. März nimmt und ihm die Jahreszahl desjenigen islamischen Jahres gibt, in das dieser 1. März fällt. Diese Regelung kann für die Jahre ab 1677 mit Sicherheit nachgewiesen werden, wie weiter unter erläutert werden wird. Für die Jahre davor ist sie zumindest wahrscheinlich.

Beispiel 2:

Siwischjahr 886
1. März 1481 fiel auf den 30. Dhulhidscha 885, Beginn des Finanzjahrs 885
1. März 1482 fiel auf den 11. Muharram 887, Beginn des Finanzjahrs 887
Ein Finanzjahr 886 gab es nicht.

Beispiel 2:

Siwischjahr 1020
1. März 1611 fiel auf den 27. Dhulhidscha 1019, Beginn des Finanzjahrs 1019
1. März 1612 fiel auf den 9. Muharram 1021, Beginn des Finanzjahrs 1021
Ein Finanzjahr 1020 gab es nicht.

Vergleich der Siwischjahre vor 1677
Wüstenfeld-Mahler:   885
1481
919
1513
953
1546
986
1578
1020
1611
1053
1643
Alternative    886
1481
919
1513
953
1546
986
1578
1020
1611
1053
1643

 

Das Jahr 1677

Das Jahr 1677 wird zuweilen als der Beginn des türkischen Finanzkalenders betrachtet. Ginzel schreibt hierzu: "Das Maliyejahr war ursprünglich eine arabische Jahresform (im 4. Jahrhundert der Hidschra von dem Abbasiden Tailillah begründet) und wurde 1087 Hid. (1677 n. Chr.) von den Türken angenommen. Letztere zählen die Jahre nach Hidschra-Jahren."[5] Gewährsmann für Ginzel ist offensichtlich Ghazi Ahmad Mukhtar Pascha.[6] Dieser hochgebildete und hochdekorierte osmanische Staatsmann und General, verstorben 1919, hat sich sehr intensiv mit Fragen der Zeitrechnung auseinandergesetzt, insbesondere auch in Hinblick auf die Schwierigkeiten der Finanzverwaltung mit den bestehenden Zeitrechnungen. Von seinem in Arabisch und Türkisch geschriebenes Werk Islah al-Taqwim wurde 1893 in Leiden eine französische Übersetzung unter dem Titel "La reforme du calendrier, traduit par O(sman) N(uri) E(fendi)" gedruckt. Ginzel stand diese Arbeit zur Verfügung. Dieses Buch konnte nicht eingesehen werden.

Die Rückführung des osmanischen Finanzkalenders auf eine Einrichtung eines recht unbedeutenden Kalifens, der von 363/974 bis 381/991 regierte, ist unsinnig. Weder Ginzel noch Muhtar Pascha bringen Belege. Der Sache nach kann es sich nur um den iranischen Kalender handeln. Taqizadeh[7] und Abdollahy[8] erwähnen zwar diese Einführung eines kurzfristigen Finanzkalenders auf der Basis eines Sonnenjahres, bringen allerdings keine weiterführenden Erkenntnisse. Die eigentliche Reform des iranischen Kalenders mit einer Umstellung des Jahresbeginns auf den Tag des Frühlingsäquinoktiums geschah erst ein Jahrhundet später durch Sultan Dschalalesdin Malik Schah unter dem Kalifen al-Muqtadi (1075 - 1094). Die Vorstellung, die osmanische Finanzverwaltung habe nach der Eroberung der byzantinischen Gebiete zuerst die Steuertermine nach dem griechischen Kalender weiter verwendet, um dann zwei bis drei Jahrhunderts später eine Reform nach dem Vorbild eines abbasidischen Kalifen durchzuführen, erstaunt. Wie ausgeführt ist der Rumi-Kalender praktisch identisch mit der griechisch-byzantinischen Zeitrechnung, die es in Konstantinopel schon lange vor der Eroberung dieser Stadt durch die Türken gab. Eine Umstellung des Jahresanfangs vom 1. September, auf den 1. März war naheliegend. Der Schalttag mitten im Jahr ist störend, nun lag er da, wo er hingehört, am Jahresende. Der Kalender von Dschalaleddin Malik Schah war natürlich gut bekannt, war sicher nicht Vorbild einer Reform, auch wenn er Osmanischen Reich eine gewisse Rolle gespielt hat. Am 10. März war Nowruz, der iranische Neujahrstag. An diesem Tag wurde dem Sultan der neue Jahreskalender feierlich von den Astronomen, oder besser Astrologen, überreicht.[9]

Eine Verlegung des Jahresanfangs vom 1. September, den nur die Byzantiner kannten, auf den 1. März, der weit verbreitet war, war naheliegend. Ein Schalttag mitten im Jahr ist immer störend, nun lag er da, wo er hingehört, am Jahresende. Sollte man aber wirklich ein Vorbild gebraucht haben, so wäre eher an Venedig zu denken, das enge Beziehungen mit dem Osmanischen Reich hatte und das bis 1797 das Jahr mit dem 1. März beginnen liess.

Ganz anders als von Ginzel ist die Darstellung von Mayr und den Wüstenfeld.Mahlerschen Vergleichungstabellen. Mayr schreibt hierzu, diese Siwisch-Jahre seien ein Problem für die Verwaltung gewesen, denn sie erschwerten das Rechnen. Daher sei es nur menschlich, dass der oberste Finanzverwalter (defterdar) immer wieder versuchte, ein Siwisch-Jahr in seiner Amtszeit zu vermeiden. Nach 1053 wäre das nächste Siwisch-Jahr das Jahr 1087 gewesen. Um dem zu entgehen, habe der damalige defterdar Hasan Pascha den Jahresanfang auf den 1. Mart (1. März) verlegt. Das Jahr 1087 war also ein Rumpfjahr, es begann am 1. September 1676 und endete am 28. Februar 1677. Mayr geht ferner davon aus, dass bis 1768 die alte Regelung galt, nach der die Jahreszahl des islamischen Jahres zu wählen sei, mit es die meisten gemeinsamen Tage habe. Dem zufolge wären auf das das Jahr 1053 (1643 n. Chr.) die Siwischjahre 1104 (1693), 1137 (1725) und 1171 (1758) gefolgt Das nächste Siwisch-Jahr wäre dann 1204 (1790 n. Chr.) gewesen. Damals war Morali Osman defterdar. Um ein Siwischjahr in seiner Amtszeit zu vermeiden habe er die Regel geändert: von da ab sollte für das Maliye-Jahr die Jahreszahl des islamischen Jahres genommen werden, in das der 1. März fiel. Die Theorie von Mayr ist nicht haltbar. Er bringt keinerlei Belege. In einem Artikel aus dem Jahr 1961 schreibt er lediglich: "Diese Angaben stammen aus den Vorlesungen des Wiener Turkologen Franz Kraelitz, der den Text einsah und guthiess. Nallino in Rom schreib in einer Besprechung darüber, dass es die die erste richtige Darstellung der Maliyejahre war. [10]

Jahresanfang und Siwischjahre nach 1643

Am 1. März des Jahres 1677 begann, das ist absolut sicher, das Finanzjahr 1088. Dieser 1. März fiel auf den 7. Muharram. Es kann als bewiesen gelten, dass spätestens damals beschlossen worden war, die unsichere Zählung mit der grösseren Deckungsgleichheit der Sonnenjahren abzuschaffen, sollte es sie jemals gegeben haben. Von da ab trägt das Finanzjahr diejenige Zahl des Hidschrajahres, in das der 1. März fällt. Die Siwischjahre ab 1121 (1710 n. Chr.) sind eindeutig belegt durch Abschriften von zwei immerwährende Kalender, zum einen des Ruznames von Scheich Vefa (gest. 1491)[11], und zum anderen des Ruznames von Darendeli Mehmad Efendi (gestorben 1739).[12] Die Jahresliste des Scheich Vefa reicht vom Jahr 1121 bis zum Jahr 1235, die des Darendeli Mehmed Efendi vom Jahr 1210 bis zum Jahr 1296, beide überlappen sich Die Siwischjahre sind dort als Doppeljahre zusammen mit dem vorangehenden oder folgenden Jahr verzeichnet.

Scheich Vefa   Darendeli Mehmed Efendi
1153
1154
1187
1188
1222
1223
1221
1222
1255
1255
1287
1288
1742 n. Chr. 1774 n. Chr 1807 n. Chr 1807 n. Chr 1840 n. Chr 1872 n. Chr

Aus der Liste bei Scheich Vefa geht auch zwingend hervor, dass das 1120 (1709 n. Chr.) ebenfalls ein Siwischjahr gewesen sein muss. Der 1. März 1708 (julianisch) fiel auf den 20. Dhulhidsche 1119 (islamisch), der 1. März des folgenden Jahres auf den 1. Muharram 1121. 1120 war ein Siwischjahr.

Es gibt gravierende Hinweise darauf, das bereits vor 1677 der Jahresanfang 1. März üblich war. In einem weiteren Exemplar des Ruzname nach Scheich Vefa, gefertigt um 1656, beginnen die Tabellen der Gebetszeiten mit dem 1. März. [13] Es ist kaum anzunehmen, dass ein Kalender einen Jahresbeginn hatte, der nicht allgemein verbreitet war.

Zusamenfassend kann man sagen: Bei der Eroberung des Byzantinischen Reiches hielt die osmanische Finanzverwaltung die alten Steuertermine nach dem byzantinischen Sonnenjahr bei. Anstelle der griechischen Namen der Monate setzten die Türken die ihnen besser vertrauten syrisch-arabischen Bezeichnungen. Irgendwann zwischen 1450 und 1650 wurde der Jahresanfang vom September auf den März verlegt. Spätestens ab 1677 trug dieses Finanzjahr die Jahreszahl desjenigen islamischen Jahres, in das der 1. März fiel.

Siwischjahre nach 1653
1053
1643
1087
1676
1120
1709
1154
1742
1188
1774
1221
1807
1255
1840
Zum Vergleich die Siwischjahre nach den Wüstenfeld-Mahlerschen Vergleichungtabellen
1053
1643
1104
1693
1137
1725
1171
1758
1221
1807
1255
1840

Die weitere Entwicklung

Als im Jahre 1740 angeordnet wurde, nunmehr seien auch Amtsposten und Pensionen nicht mehr nach dem islamischen Mondkalender mit Jahresbeginn Muharram sondern nach dem Maliye-Kalender mit Jahresbeginn im März zu berechnen, gewann die Maliye-Rechnung stark an Bedeutung. Sie wurde immer mehr als die offizielle Zeitrechnung angesehen, der islamische Kalender trat dem gegenüber immer stärker zurück. Diese Umstellung hatte auch eine der Finanzverwaltungs sicherlich willkommene Nebenwirkung. Sie führte zu einer Entlastung der Staatskasse im Bereich der Personalkosten von über 3%.

Das Jahr 1872

Siwischjahre nach 1677 waren die Jahre 1121 (1710 n. Chr.), 1154 (1742 n. Chr.), 1188 (1775 n. Chr.), 1221 (1807 n. Chr.) und 1255 (1840 n. Chr.). Das nächste Siwischjahr hätte 1288 (1872 n. Chr.) sein müssen. Aus Versehen wurden aber die Zinsscheine der Staatsanleihen des Osmanischen Reiches mit der Jahreszahl 1288 beschriftet und in Verkehr gebracht. Eine unverzüglich einberufene Kommission erarbeitet Lösungsvorschläge, aber man beschloss, keinerlei Massnahmen zu treffen, und so gehen seit 1288 die Jahreszählung der Finanzjahre und der Jahre des islamischen Kalenders auseinander, es gab keine Siwisch-Jahre mehr. [14]

Die Umstellung auf den gregorianischen Kalender

1917 wurde das türkische Finanzjahr auf den gregorianischen Kalender umgestellt. Auf den 15. Schubat 1332 (15. Februar 1917 julianisch) folgte der 1. Mart 1333 (1. März 1917 gregorianisch). Der Jahresanfang wurde auf den Januar verlegt. Auf den 31. Kanunuevvel (Dezember) 1333 folgte der 1. Kanunusani (Januar) 1334. Das Finanzjahr 1333 war also ein Kurzjahr von März bis Dezember 1917. Das Wort "gregorianisch" suchte man zu vermeiden, man nannte den neuen Stil "westlichen Kalender" (takvim-i garbi) [15]

Die abendländische Jahreszählung, genannt "internationaler Kalender" (beynelmilel takvim) wurde 1925 eingeführt. Auf den 31. Kanunuevvel 1341 folgte der 1. Kanunusani 1926 [16].

Im Januar 1945 wurde die Bezeichnung der Monate gesetzlich geregelt. Monatsnamen, die als veraltet betrachtet wurden, wurden durch "echttürkische" Wortschöpfungen ersetzt.[17]

Heute noch werden in der Türkei Kalender mit den Rumi-Daten gedruckt oder im Internet veröffentlicht. [18].

Anmerkung

Zuweilen findet sich die Meinung bis 1983 habe das Finanzjahr weiterhin mit dem 1. März begonnen, dann sei es auf den 1. Januar umgestellt worden.[19]. Diese Aussage ist missverständlich.

Das Osmanische Reich hatte für Finanzzwecke die byzantinische (türkisch: "rumi") Zeitrechnung weitergeführt. Dieser Kalender wird daher auch Finanzkalender genannt, das Kalenderjahr auch als Finanzjahr bezeichnet im Gegensatz zum parallel laufenden Jahr des islamischen Kalenders. Jahresbeginn war anfangs der 1. September, später der 1. März, dann der 1. Januar. Mit Jahresanfang wechselte auch die Jahreszahl. Von diesem Kalenderjahr grundsätzlich unabhängig sind Steuertermine, auch für jährlich zu zahlende Abgaben. Hier gab und gibt es in den verschiedenen Staaten sehr unterschiedliche Regelungen. In Grossbritannien beginnt zum Beispiel auch heute noch das "tax year" am 6. April und endet am 5. April des folgenden Kalenderjahres.[20]. Die Festlegung von Steuerjahren ist keine Frage der Zeitrechnung sondern der Steuergesetzgebung.

Gleiches gilt für den Zeitraum, fur den der Staatshaushalt festgelegt wird. In der Türkischen Republik wie auch in allen anderen Staaten wurde und wird dies zuweilen recht willkürlich gehandhabt. Richtig ist, das im Kalenderjahr 1982 das türkische Parlament zwei Haushaltsgesetze beschlossen hat, eines am 17. Februar, das ab 1. März 1982 gültige Gesetz Nr. 2628, und ein zweites am 28. Dezember das ab 1. Januar 1983 gültige Gesetz Nr. 2761. Der Staatshaushalt 1982 galt demzufolge nur für 10 Monate. Dies bedeutet allerdings nicht eine Änderung der Zeitrechnung. Vielmehr kommt es häufiger vor, das Haushaltsgesetze nicht fristgerecht verabschiedet wurden. Hier einige Beispiele:[21].

 1944: 1. Juni:   [Gesetz Nr. 4566 vom 29. 05. 1944]
 1948: 1. Januar: [Gesetz Nr. 5161 vom 31. 12. 1947]
 1949: 1. März:   [Gesetz Nr. 5359 vom 28. 02. 1949]
 1950: 1. März:   [Gesetz Nr. 5561 vom 25. 02. 1950]
 1982: 1. März:   [Gesetz Nr. 2628 vom 17. 02. 1982]
 1983: 1. Januar: [Gesetz Nr. 2751 vom 28. 12. 1982] 

 


Fussnoten

1↑ Ausnahmen bestätigen diese Regel. In den Jahren 1900 bis 1925 richtete man sich in der Türkei nach diesem zyklischen Kalender, vgl. die Tabellen des Präsidialamtes für Religiöse Angelegenheiten der Türkischen Republik www.diyanet.gov.tr [aufgerufen 4.1.1213]. Selbst in der Islamischen Republik Iran war dies im Hidschrajahr 1424, das am 5. März 2003 begann,der Fall, siehe hierzu Der Monatsbeginn im heutigen islamischen Kalender: Iran.
2↑ Eine ausführliche Darstellung der islamischen Zeitrechnung in dem Artikel Die islamische Zeitrechnung
3↑ Hier der Text in der offizielle Übersetzung der Botschaft der I. R. Iran in Beirut; "Article 17 [Official Calendar]: The Official Calendar of the country takes as its point of departure the migration of the Prophet of Islam -- God's peace and blessings upon him and his Family. Both the solar and lunar Islamic calendars are recognized, but government offices will function according to the solar calendar. The official weekly holiday is Friday." Internetlink [aufgerufen 3.1.1212] Viele weiter Veröffentlichungen. z.B.: International Constitutional Law
Siehe ferner auch Die iranischen Zeitrechnungen, Absatz 4
4↑ Mayr (1927 b) und (1961) sowie die Wüstenfeld-Mahler´schen Vergleichungs-Tabellen (siehe Bibliographie).
5↑ Ginzel (1914), Bd. I, S. 266.
6↑ Zu Ghazi Ahmad Mukhtar Pascha siehe Thomas Hockey et al. (eds.). The Biographical Encyclopedia of Astronomers, Springer Reference. New York, Springer, 2007, p. 18 Internetlink [aufgerufen 4.1.1212]
7↑ Taqizadeh (1937c), S. 907 ff.
8↑ Abdollahy (1988), S. 284.
9↑ Gerhard Behrens beschreibt und erläutert ausführlich einen Kalender für das Jahr 1740: Gerhard Behrens: An Ottoman Calendar (takvim) for 1740/41 AD, [www.middle-east-studies.net]
10↑ Mayr (1961), S. 265
11↑ Die University of Michigan hat ein in ihrer Bibliothek befindliches Manuskript des Ruznames von Scheich Vefa, nach 1710, vermutlich 1745; geschrieben, als PDF Datei ins Internet gestellt: Michigan University Library[aufgerufen 4.1.1212]
Siehe auch: Das Ruzname des Darendeli Mehmed Efendi
12↑ Monika Dahncke hat 1987 eine im Jahr 1795 gefertige Kalenderrolle des Ruznames von Darendeli Mehmed Efendi herausgegeben. (Dahncke (1987).Siehe: Das Ruzname des Darendeli Mehmed Efendi
13↑ Manuskript der University of Michigan, ca. 1655 geschrieben: a Michigan University Library[aufgerufen 4.1.1212]
14↑ Ginzel a.a.O., wiederum unter Berufung auf Muktar Pascha, der in diesem Falle sicher eine hervorragende Quelle ist, war er doch Zeitzeuge in herausragender Stellung.
15↑ Gesetz Nr. 124 vom 8. Februar 1917; takvim-i vakayi, Nr. 2803, Düstür, 2. Reihe, Bd. 9, S. 185. Dieses Gesetz war offensichtlich heftig umstritten. Der Abgeordnete Hodscha Hilmi Effendi schlug vor, nach iranischem Vorbild die Jahre nach den Sonnenjahren der Hidschra zu zählen was allerdings abgelehnt wurde. Das Gesetz wurde dann doch mit grosser Mehrheit beschlossen. Grosswesir Sa'id Halim Pascha erklärte daraufhin seinen Rücktritt. Vgl. Taeschner (1941), S. 90 und Würschmidt (1917), S. 98.
Das Gesetz konnte nicht im Original eingesehen werden. Eine franzöische Übersetzung findet sich bei Deny (1921) [Internetlink]. Vgl. hierzu auch den Artkel Würschmidt (1917), erschienen bereits am 11. März 1917.
16↑ Gesetz Nr 698 vom 26. Dezember 1925 Internetlink oder Internetlink Zum gleichen Zeitpunkt wurde auch die offizielle Zeit umgestellt von der mit Sonnenuntergang beginnenden islamischen Zählung auf die mittlere Zeit des 30. Breitengrades (GMT + 2 Stunden): Internetlink oder Internetlink
17↑ Gesetz Nr. 4696 vom 10. Januar 1945 Internetlink.
18↑ siehe zum Beispiel die Kalender auf der Internetseite des Präsidialamtes für religiöse Angelegenheiten der Türkischen Republik: www.diyanet.gov.tr. Da diese Seiten häufiger geändert werden auch folgender interner Link
19↑ So zum Beispiel in der türkischen Wikipedia, Artikel Rumi_takvim oder bei Atac und Mogul; Devlet bütcesi S. 121]
20↑ siehe: gov.uk]
21↑ Die Gesetzestexte können z. B. über folgende Seiten gesucht werden: T.C. Resmi Gazete oder auch: http://ekutup.dpt.gov.tr/butce/kanun.html )

 


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