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N A. B Der Osterstreit
 
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Chronologische Grundlagen

Die Zeitrechnung der Juden

Seit alters her kennen die Juden eine lunisolare Zeitrechnung. Jedes Jahr hat 12 Monate, die sich an den Phasen des Mondes orientieren, alle zwei oder drei Jahre wird ein Schaltmonat eingefügt. Zur Zeit Jesu Christi war die Einrichtung und Überwachung des Kalenders Aufgabe des Hohen Rates, des Synedrion. Von besonderer Bedeutung war die richtige Lage des Frühlingsmonats, des ersten Monats im religiösen Jahr der Juden. In der Thora wird dieser Monat noch Abib genannt, später, so bereits Nehemia 2, 1 und Esther 3, 7, trägt er den Namen Nisan. Der 16. Tag dieses Monats war der Tag der Erstlingsfrüchte, an dem man die frisch geschnittenen Garben den Priestern darbrachte. Rechtzeitig vor Ende des Winter war abzuschätzen, ob bis dahin das Getreide reif sei, oder ob man besser noch einen Monat länger warten solle.

Neben der Beobachtung der Natur spielte auch die Beachtung des Äquinoktiums eine Rolle. Am Tag des Passahfestes musste die Sonne im Zeichen des Widders stehen. So sagt z. B. Josephus Flavius: "Mense autem Xanthico, qui nobis Nisan vocatur et anni initium est, die decimaquarta secundum lunam, sole in ariete stante (hoc enim mense liberati a servitute sumus Aegyptiaca), id quoque sacrificum, quod tunc egredientes ex Aegypto nos fecisse jam dixi, Pascha nominatum, quotannis mactare lege sancivit."[1]

Auch der Tag des Jahresbeginns musste durch das Synedrion sanktioniert werden. Am 29. Tag des letzten Monats im alten Jahr beobachtete man im ganzen Land den Abendhimmel. Meldeten vier vollwertige Zeugen dem Hohen Rat in Jerusalem das Erscheinen der Mondsichel, so wurde dieser bereits mit Sonnenuntergang begonnene Tag zum ersten Tag des neuen Jahres erklärt, anderenfalls war der 1. Nisan am folgenden Tag. Da es geraume Zeit dauern konnte bis die Zeugen nach Jerusalem gelangt waren, geschah es auch zuweilen, dass der Jahresbeginn erst nach Ende der Nacht am folgenden Vormittag offiziell verkündet wurde. Die Entscheidung des Synedrions wurde dann im ganzen Lande und auch in der Diaspora verkündet.

Den Schriftgelehrten waren natürlich die eingeführten Schaltzyklen der weitverbreiteten lunisolaren Zeitrechnungen bekannt, insbesondere der 19jährige Zyklus. Es gab Aufzeichnungen über die Schaltzyklen und Berechnungen über die Länge der Monate. Kalenderfragen sind immer auch Machtfragen. Die Festlegung der genauen Termine des Jahresanfangs, damit auch der Zeit des Passahfestes und der damit verbundenen Pilgerfahrten, waren ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor, den der Hohe Rat nicht dadurch aus der Hand geben wollte, dass man einem jeden die Möglichkeit gab, sich die Schaltfolge der Jahre selbst auszurechnen. Man schreckte sogar nicht davor zurück, Zeugen des Neulichtes unter Druck zu setzen, um den 1. Nisan nach eigenen Vorstellungen zu bestimmen. So suchte man zu vermeiden, dass der 14. Nisan, der Rüsttag des Passahfestes, an dem die Opfertiere geschlachtet wurden, auf einen Sabbat zu liegen kam.

Das Passahfest

Zu den wichtigsten Tagen im jüdischen Festkalender zählt das Passahfest. Passah, das ist das Vorübergehen des Herrn (lateinisch: transitus domini), denn der Herr ging an den Kindern Israels vorüber, da er die Ägypter plagte und alle Erstgeburt erschlug vom ersten Sohne Pharaos an bis auf den ersten Sohn des Gefangenen im Gefängnis und alle Erstgeburt des Viehs (2. Moses 23, 27 - 29).

Passah wird gefeiert in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten im ersten Monat des Jahres, dem Frühlingsmonat Abib, wie die Thora diesen Monat nennt. Später, so bereits Nehemia 2, 1 oder Esther 3, 7, wird er allgemein Nisan genannt. Das 2. Buch Moses, Kapitel 12, schildert die Ereignisse: Der Herr hatte den Kindern Israels befohlen, am 14. Tag dieses Monats gegen Abend ein Lamm zu schlachten. Und sie sollten von seinem Blut nehmen und beide Pfosten an der Tür und die obere Schwelle damit bestreichen an den Häusern, in denen sie wohnten zum Zeichen, dass der Herr an ihnen vorübergehe. In derselben Nacht sollten sie das Fleisch essen, schnell im Ganzen am Spiess gebraten, ohne dass die Knochen gebrochen wurden. Das Ganze geschah in grosser Eile. So gab es dazu nur bittere Kräuter und ungesäuertes, das heisst ohne Sauerteig zubereitetes Brot, denn für das Ansetzen eines Sauerteiges war keine Zeit mehr.

So wie die Geschichte vom Auszug aus Ägypten eine zentrale Stellung in der biblischen Geschichte einnimmt, so steht das Passahfest im Mittelpunkt des jüdischen Festkalenders. Zur Zeit Jesu, nachdem König Herodes den Tempel erbaut und Jerusalem zur Metropole aller Juden auf der ganzen Welt gemacht hatte, war das Schlachten des Passahlammes im Tempel Teil des Opferdienstes. Von überall her strömten die Pilger hierzu in die heilige Stadt. Am 14. Nisan, dem Rüsttag des eigentlichen Passahfestes, wurden die Häuser von allem Gesäuerten gereinigt. Man versetzte sich in den Zustand der rituellen Reinheit und brachte dann das Schlachtopfer dar. Die Matzen (Matzot, lateinisch Azyma) wurden gebacken und das Opferlamm zubereitet. Nach Sonnenuntergang des 14. Nisan, als der 15. Nisan bereits angebrochen war, setzte man sich zusammen zum feierlichen Passahmahl. Zum gegrilltem Lamm wurden bittere Kräuter und das ungesäuerte Brot gereicht, vier Becher Wein wurden getrunken.

Dieser 15. Nisan ist der Tag des Matzotfestes, der eigentlichen Passahfeier. Es ist ein Tag der Sabbatruhe, keine Dienstarbeit darf an ihm geleistet werde. Die Thora nennt ihn daher auch den Sabbat des Passahfestes, wie grundsätzlich in der Bibel nicht nur der siebte Tag der Woche als Sabbat bezeichnet wird, sondern auch jeder Feiertag mit Sabbatruhe, auf welchen Wochentag er auch fallen mag. Mit dem 15. Tag des ersten Monats beginnen die sieben Tage der ungesäuerten Brote.

Der folgende Tag, der 16. Nisan, ist wieder Arbeitstag, aber er ist herausgehoben aus der Reihe der Werktage. Es ist der Tag der Erstlingsgarbe. Die feierlich geschnittenen ersten Garben werden den Priestern dargebracht. Von diesem Tag aus werden auch die Tage gezählt bis Pfingsten. Nach sieben Wochen, das ist nach sieben mal sieben Tagen oder nach 50 Tagen, so man das Ausgangsdatum mitzählt, ist das Wochenfest am 6. Tag des dritten Monats Siwan. Das deutsche Wort Pfingsten leitet sich ja ab von dem griechischen "pentekoste".

Die Passahwoche, die Zeit der ungesäuerten Brote, endet am 21. Nisan, wiederum ein Tag mit Sabbatruhe.

Die weitere Entwicklung

Als im Jahre 70 nach Christus römische Soldaten Jerusalem zerstörten und den Tempel niederbrannten bedeutete dies nicht nur das Ende eines selbstverwalteten jüdischen Staates, nunmehr konnte auch kein Brandopfer mehr dargebracht werden, die Opferstätte war vernichtet. Der Brauch des Mahles in der Nacht vom 14. auf den 15. Nisan blieb jedoch auch ohne Opferlamm bestehen bis heute, die Synagoge wurde zur zentralen Institution der Juden anstelle des Tempels. Die altehrwürdige Bestimmung des Kalenders durch Augenschein und feierliche Verkündig wich allmählich einer Berechnung der Feiertage. Anstelle des Hohen Rates nahmen nun in Jerusalem die Familien der Patriarchen eine führende Stellung ein, unter den das Geschlecht der Hillel hervorragte. Hillel II. soll um die Mitte des 4. Jahrhunderts die Grundlagen des heutigen jüdischen Kalenders gelegt haben. Allerdings gab es noch viele Jahrhunderte lang unterschiedliche Formen des jüdischen Kalenders. Die ältesten Dokumente einer Zeitrechnung, die dem heutigen Kalender nahekommt, stammen aus dem 9.und 10. Jahrhundert.

Die Diaspora

Von Anfang an lebte nur ein kleiner Teil der Juden in den Kernlanden Judäa mit dem Zentrum Jerusalem, die Mehrzahl der Juden wohnte in der Diaspora. Jüdische Ansiedlungen fanden sich entlang der ganzen nordafrikanischen Küste, über Syrien hin bis nach Gallien. Zentren waren die Levante und Kleinasien, daneben natürlich auch Mesopotamien, das damals zum persischen Reich gehörte. Die jüdische Gemeinde in Rom soll zu Zeiten Julius Caesars 50.000 Köpfe gezählt haben, in der Weltstadt Alexandria war jeder vierte Bewohner ein Jude. Das Zusammenleben war nicht immer einfach. Zum einen lebten Juden häufig in eigenen Stadtvierteln und sonderten sich ab von ihren Mitbewohnern ab, andererseits gab es viele Juden, die mehr oder weniger assimiliert waren, nur noch Griechisch sprachen und sich gesellschaftlich und politisch engagierten. Sie nutzten den örtlichen Kalender im Alltagsleben und auch für die Festlegung des Passahfestes.


Anmerkungen

1 Josephus Flavius, Antiquitatum Judaicarum, Buch III, Cap. X, 5. Weitere Belege bei Philo und Flavius siehe Schwartz (1905), S. 138 - 142. [ Internetlink engl. Übersetzung] [ Internetlink griechisch/lateinisch]

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