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N A. B | Probleme der islamischen Datierung |
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Die heute allgemein verbreitete abendländische Datierung legt den Beginn des Tages und des Monates rein schematisch fest. Der Tag beginnt jeweils um Mitternacht, oder anders ausgedrückt, um 0.00 Uhr. Auch die Uhrzeit wurde durch Vereinbarung festgelegt und orientiert sich nur noch ungefähr nach der wahren Ortszeit. Die gesamte Erde ist in verschiedene Zeitzonen eingeteilt, die in der Regel um eine Stunde, in Ausnahmefällen auch einmal um dreißig Minuten differieren und deren Grenzen sich nach den geopolitischen Gegebenheiten richten. Für eine vereinfachende Darstellung scheint es ausreichend, die Erde schematisch in 24 gleich große Zonen zu unterteilen. Je weiter man von einem bestimmten Punkt aus nach Westen geht, umso früher am Tag ist es, je weiter man nach Osten geht, umso weiter ist der Tag fortgeschritten. Ist nun beispielsweise in der Zone um den Null-Meridian, also zwischen 7.5 Grad östlicher und 7.5 Grad westlicher Länge genau 12.00 Uhr Mittags, so ist zwischen 172.5 Grad westlicher Länge und dem 180. Längengrad 0.00 Uhr, der Tag bricht gerade an. Im Osten hingegen, zwischen 172,5 Grad östlicher Länge und dem 180. Längengrad ist es 24.00 Uhr, der Tag endet in diesem Moment und ein neuer Tag beginnt. In diesem kurzen Augenblick herrscht überall auf der Erde der gleiche Wochentag.
Eine halbe Stunde später ist es nun zwischen 172.5 Grad Ost und dem 180. Längengrad 0.30 Uhr, also kurz nach Mitternacht. Der neue Tag schiebt sich nun kontinuierlich weiter nach Westen. Auf der Erde gibt es also immer zwei Wochentage, begrenzt zum einen durch den 180. Längengrad und zum anderen durch die Grenze zwischen jenen beiden Zeitzonen, die durch Mitternacht getrennt werden. Der 180. Längengrad bildet also eine Datumsgrenze. Östlich wie westlich dieser Linie gilt zwar die gleiche Uhrzeit, es ist jedoch immer ein verschiedener Wochentag. In Wirklichkeit folgt allerdings die Datumslinie nur ungefähr dem 180. Längengrad. Sie weist eine Reihe von Ausbuchtungen auf, um zu verhindern, daß die Grenze von zwei Wochentagen mitten durch bewohnte Gebiete verläuft.
Sicherlich berücksichtigt diese geschilderte, heute allgemein gebräuchliche Definition von Uhrzeit und Wochentag astronomische und geographische Gegebenheiten nur ungenügend, Sie hat dafür den Vorteil, klar und für jedermann leicht faßbar zu sein.
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Sehr viel schwieriger ist es dagegen den Tagesanfangs nach den islamischen Vorschriften zu definieren. Jeder Tag beginnt hier mit dem Sonnenuntergang des Vorabends. Eine Datumsgrenze ist nicht eigens festgelegt, jedenfalls finden sich hierzu keine Angaben. Es ist jedoch anzunehmen, daß die international übliche Regelung mit dem 180. Längengrad als Datumsgrenze auch vom Islam übernommen wurde. In nahezu allen von islamischer Seite zu Kalenderfragen verfaßten Schriften wird dies als gegeben betrachtet, ohne daß hierauf noch einmal eigens eingegangen wird. Lediglich bei dem Astronomen Dr. Muhammad Ilyas, einem der wenigen Gelehrten, die sich von islamischer Seite aus mit diesem Problemen sachkundig auseinandersetzen, finden sich Überlegungen zu dieser Frage.[ 1 ]
Definiert man den Tagesbeginn mit dem Sonnenuntergang, so hat dies natürlich den Vorteil, daß jedermann diesen Zeitpunkt ohne weitere Hilfsmittel vom Himmel ablesen kann, hat aber auch gravierende Nachteile. So ändert sich die Linie, die jene Orte miteinander verbindet, an denen die Sonne zur gleichen Zeit untergeht, mit dem Wechsel der Jahreszeiten. Zu Zeiten der Tag- und Nachtgleiche ist diese Linie nahezu eine von Nord nach Süd verlaufende Gerade, die sich kontinuierlich von Ost nach West schiebt, während sie im Sommer oder im Winter die Form eines stark geschwungenen 'S' oder 'Z'. Für Gebiete im hohen Norden oder im tiefen Süden ist der Tag dann auch nicht mehr definierbar, da die Sonne dort ja nicht mehr jeden Tag auf oder untergeht. Dieses Problem ist seit altersher bekannt. Man sucht es dadurch zu lösen, daß für diese Regionen die Untergangszeiten des 45. oder 50. Breitengrades maßgeblich sein sollen.[ 2 ]
Beginnt man den Tag mit Sonnenuntergang, so muß logischerweise auch die Uhrzeit mit diesem Moment beginnen. Bis zum Beginn dieses Jahrhunderts war dies in islamischen Ländern auch der Fall, wie die Zeittafeln für die Gebetszeiten zeigen.[ 3] Jeden Tag bei Sonnenuntergang mußten die Uhren auf 0.00 Uhr gestellt werden. Sonnenaufgang war somit je nach Jahreszeit zwischen 11 Uhr und 1 Uhr, Mittag zwischen 5 Uhr und 7 Uhr. Zu Zeiten, als Uhren noch nicht übermäßig genau gingen, mag dies gewisse Vorteile gehabt haben, in der heutigen Zeit bringt dies eher Probleme. Daher gelten in allen islamischen Ländern heute die entsprechenden Zonenzeiten als gesetzmäßige Zeiten.
Zusammenfassend kann man sagen, daß heute in allen islamischen Ländern sehr pragmatische Regelungen bezüglich des Tagesanfangs in Kraft sind. Hinsichtlich der Datumsgrenze und der Uhrzeit wurden die Regelungen des Abendlandes übernommen, der Wochentag stimmt mit dem abendländischen überein es besteht, lediglich der kleine Unterschied, daß wie in lunaren Kalendern allgemein üblich, der Tag mit seinem Vorabend beginnt.
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Nach den Vorschriften des Korans hat sich der Kalender allein nach dem Mondlauf zu richten. Jeder Monat beginnt mit dem Tag, an dessen Vorabend die schmale Mondsichel zum ersten Mal nach Neumond am Abendhimmel wieder sichtbar ist. Traditionellerweise schreiben alle islamischen Rechtsschulen vor, daß das Erscheinen des Neulichts durch Augenschein festgestellt werden muß, reine Berechnung genügt nicht. Differenzen gibt es höchstens in der Frage, ob das Zeugnis von zwei freien muslimischen Männern erforderlich ist, oder ob die von einem Kadi als gültig anerkannte Aussage eines einzigen Mannes genügt, für den gegebenen Ort und die ganze Umgebung den neuen Monat als angebrochen zu betrachten.[ 4 ] Es kommt also nicht darauf an, ob der Mond hätte sichtbar sein können, sondern allein darauf, ob er auch wirklich sichtbar war. Hierbei spielen natürlich auch meteorologische und geographische Gegebenheiten eine Rolle. Wird beispielsweise der Westhorizont durch hohe Berge verstellt, so wird das Neulicht in einigen Fällen einen Tag später sichtbar sein als bei ebenen Horizont. Schwierig ist ferner, vor allem in der heutigen Zeit mit seinen modernen Kommunikationsmitteln, zu bestimmen, wie weit der Begriff "ganze Umgebung" zu fassen ist. Der Historiker jedenfalls muß beachten, daß früher auch recht nahe beieinanderliegende Orte abweichende Datierungen haben konnten.
In jüngster Zeit wird immer häufiger versucht, die Sichtbarkeit des Neulichtes mit Hilfe astronomischer Erkenntnisse vorherzuberechnen und die gefundenen Ergebnisse dann als gesichert und allgemein verbindlich auszugeben. Solange diese Vorhersagen gleich dem bisher schon allgemein anerkannten zyklischen islamischen Kalender lediglich als Anhaltspunkt für die Himmelsbeobachtungen verwandt werden, ist dagegen sicher nichts einzuwenden. In der Praxis ist es allerdings so, daß auf diesen Rechnungen basierende Kalender oft Jahre im voraus gedruckt werden und damit auch die religiösen Feiertage festgelegt werden Das ganze private und geschäftliche Leben in islamischen Ländern stellt sich darauf ein, und nur die wenigsten Muslime werden heute noch selbst den Abendhimmel beobachten. In Zweifelsfällen wird der Monatsanfang eher einen Tag früher angesetzt, denn es ist einfacher, zu behaupten, man hätte bei anderen Verhältnissen des Mond sehen können, auch wenn ihn niemand am Himmel erblickte, als andererseits bei klar sichtbarer Mondsichel zu behaupten, der Mond sei nicht zu sehen. Ob diese Neuerung religiös-rechtlich sanktioniert werden kann, ist von islamischer Seite aus zu beurteile
Neulichtberechnungen zählen immer noch zu den großen Problemen der Astronomie. Exakte Vorhersagen können bis heute nicht gegeben werden. Ein ersten Überblick bietet das Mondalter. Schon im alten Babylon wurde davon ausgegangen, das die Mondsichel dann sichtbar sein werde, wenn bei Sonnenuntergang mindesten 24 Stunden seit Neumond vergangen sind. So grob dieses Kriterium auch sein mag, für den Laien ist es eine große Hilfe. Der genaue Zeitpunkt der Konjunktion von Sonne und Mond kann aus entsprechenden Tabellen[ 5 ] leicht abgelesen werden, und es bereitet auch für eine Laien keine Schwierigkeit, den Zeitpunkt des Sonnenuntergangs für jeden beliebigen Ort und jedes beliebige Datum im Jahr zu berechnen. Somit kann ein Historiker auch ohne große astronomische Vorkenntnisse eine islamische Datierung zumindest ungefähr überprüfen.
Genauer als das Mondalter ist als Kriterium für die Sichtbarkeit des Neulichts die Größe des "arc of vision", das ist jenes Abschnitts der Ekliptik, die begrenzt wird durch den Horizont bei Sonnenuntergang und den Horizont bei Monduntergang. Er muß mindestens 12° betragen. Schon in Babylon und im Indien des 5. und 6. Jahrhunderts war diese Regel bekannt. Von dort aus kam sie zu den islamischen Astronomen des Mittelalters, für die sie das entscheidende Kriterium wurde. Die genaue Berechnung dieses Bogens ist allerdings ein nicht gerade triviales Problem der sphärischen Trigonometrie, die mittelalterlichen Astronomen bedienten sich daher in der Regel mehr oder minder genauer Näherungen. Da dieser Teil der Ekliptik gleichzeitig ein Zeitmaß darstellt, kann man dieses Kriterium auch dadurch definieren, daß man sagt, zwischen Sonnenuntergang und Monduntergang müssen mindestens 48 Minuten verstreichen. Mit geringen Modifizierungen basieren nahezu alle älteren Neulichtberechnungen und somit auch Vorherberechnungen des Kalenders im islamischen Bereich auf diesem Argument.
Die ersten genaueren Untersuchung der neueren Zeit über die Sichtbarkeit des Neulichtes stammt von Fotheringham.[ 6 ] Er wertete dazu insbesondere die Beobachtungen aus, die Schmidt in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Griechenland machte.[ 7 ] Fotheringham berechnete die (geozentrische) Stellung des Mondes am Himmel zum Zeitpunkt des Sonnenunterganges jeweils an den Tagen, an denen das Neulicht beobachtet wurde, sowie an Abenden, an denen nach der Mondsichel Ausschau gehalten wurde, ohne sie sehen zu können. Stellt man die Ergebnisse in einer Tabelle zusammen, so ergibt sich eine mehr oder weniger klare Grenzlinie. Nach Ansicht von Fotheringham muß der Mond bei Sonnenuntergang mindestens 12° über dem Horizont stehen, lediglich bei einer größeren Differenz im Azimut zwischen Sonne und Mond genügt ein geringerer Abstand. Spätere Veröffentlichungen[ 8 ] setzten diese Werte immer tiefer an, weitere astronomische Kriterien wurden herangezogen, zuweilen hatte man den Eindruck, es sei eine regelrechte Rekordjagd nach dem frühesten Neulicht ausgebrochen. Zwar ist es möglich, mit immer ausgefeilteren Methoden den Stand von Sonne und Mond und weitere relevante Daten für jeden Punkt der Erde immer genauer zu berechnen. Bisher mangelt es jedoch an umfangreicheren empirischen Untersuchungen, unter welchen Bedingungen die Mondsichel nun wirklich sichtbar ist, so daß die Genauigkeit dieser Neulichtbestimmungen fraglich bleibt.
Um nun festzustellen, wann in welchen Regionen ein neuer islamischer Monat beginnt, versucht man den Punkt der Erde zu bestimmen, an dem das Neulicht am frühesten zu sehen ist. Für alle Orte, die auf dem gleichen Breitengrad westlich dieses Punktes liegen, gilt dann, daß dort das Neulicht, natürlich mit der entsprechenden zeitlichen Verzögerung, ebenfalls theoretisch sichtbar ist. Die gleichen Berechnungen führt man dann für nördlichere und südlichere Breitengrade durch. Verbindet man dann die Punkte, an denen auf dem jeweiligen Breitengrad frühestens das Neulicht zu sehen ist, so ergibt sich eine parabolisch geformte Kurve.[ 9 ] In den Gebieten, die von dieser Parabel eingeschlossen sind, wird das Neulicht noch am gleichen Abend sichtbar sein, in den übrigen Regionen am folgenden Tag, oder aber, im hohen Norden oder im tiefen Süden, auch zwei oder mehrere Tage später. Auch hier stellt sich das Problem, wie diese Regionen zu behandeln seien. Die einfache Regel, analog zur Zeit- oder Wochentagsbestimmung bei der Monatsdatierung ebenfalls die Werte des 45. Breitengrades heranzuziehen, ist nicht unumstritten. Würde man sich jedoch konsequent an den rechnerisch ermittelten Neulichtdaten orientieren, käme man zu teils kurios anmutenden Ergebnissen.[ 10 ] Alle diese Berechnungen und Skizzen bergen eine Gefahr in sich: sie täuschen eine Genauigkeit vor, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Ilyas[ 11 ] ging früher davon aus, die "uncertainity zone", also jene Zone, für die man trotz aller Genauigkeit der Berechnungen nicht sagen kann, ob der Mond auch wirklich sichtbar sein wird, würde 30 Längengrade betragen, das ist immerhin die Entfernung von Lissabon bis Teheran oder von Mekka bis Bangkok. Später ging er von einer Genauigkeit von 20 Grad aus, noch später von -20 bis -30 Längengraden. Bezogen auf den Äquator sind die immer noch 2000 bis 3000 Kilometer. Da, wie bereits oben erwähnt, empirische Untersuchungen darüber, unter welchen Bedingungen die Mondsichel nun wirklich sichtbar ist, fehlen, ist es nicht möglich, diese Angaben zu überprüfen.
Aus dem bisher Gesagtem ergeben sich folgende Tatsachen, wobei die Besonderheiten der Gebiete um die Polarregionen sowie Abweichungen, die von geographischen oder meteorologischen Bedingungen herrühren, unberücksichtigt bleiben:
1. | Zwischen zwei aufeinanderfolgenden Neulichttagen liegen, bezogen auf einen bestimmten Ort, immer entweder 29 oder 30 Tage. |
2. | Ist an einem bestimmten Ort das Neulicht zu beobachten, so ist es mit der entsprechenden Zeitverzögerung am gleichen Abend auch an allen Orten zu sehen, die in westlicher Richtung auf dem gleichen Breitengrad liegen. |
3. | Verbindet man diejenigen Orte, an denen für den jeweiligen Breitengrad das Neulicht am frühesten sichtbar ist, so ergibt sich eine Kurve, die an eine Parabel erinnert. Der Scheitel dieser Parabel, also derjenige Punkt, an dem nach Neumond die früheste Neulichtbeobachtung möglich ist, schwankt in der Breite um den Äquator. In der Länge kann er auf jeden beliebigen Längengrad zu liegen kommen. Zwischen zwei aufeinanderfolgenden Neulichtbeobachtungen wird er sich um ca. 190 Grad nach Westen verschieben. |
4. | Das Neulicht kann nur beobachtet werden, wenn die Mondsichel bei Sonnenuntergang noch deutlich über dem Horizont steht. Im allgemeinen wird angenommen, daß (in gemäßigten Breiten) der Abstand Sonne - Mond in der Höhe mindestens 10 Grad betragen muß. Neulichtbeobachtungen auch bei einem Abstand von nur 7 bis 8 Grad wurden bei entsprechend großem azimutalem Abstand überliefert, jedoch darf daraus nicht geschlossen werden, daß der Mond bei Überschreiten dieser Grenzwerte im jedem Fall sichtbar ist, da noch eine Reihe von weiteren Faktoren eine Rolle spielen. |
5. | Exakte Vorhersagen sind nicht möglich, man wird immer für ein nicht allzu kleines Gebiet nur von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Sichtbarkeit des Mondes reden können. |
6. | Die Grenzlinie zwischen Sichtbarkeit und Nicht-Sichtbarkeit des Mondes kann und wird auch häufig mitten durch bewohnte Gebiete, mitten durch Kernländer des Islams laufen. |
Die Probleme des islamischen Kalenders lassen sich nicht von seiten der Astronomie oder der mathematischen Chronologie lösen. Kalenderfragen sind auch immer Rechtsfragen. Aufgerufen sind also die islamischen Gottesgelehrten, durch eine verbindliche Auslegung der einschlägigen Koranstellen[ 12 ] und weiterer Rechtsquellen unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Naturwissenschaften in den letzten 14 Jahrhunderten präzise und auch praktikable Vorschriften zur Gestaltung des Kalenders zu erarbeiten.[ 13 ]
Als erstes wäre zu klären, ob Datierungen in jedem Fall auf Augenschein beruhen zu haben, oder ob, und wenn ja in welchen Fällen Berechnungen herangezogen werden dürfen. Bezüglich der Bestimmung des Monatsanfangs geht die Rechtstheorie einhellig davon aus, daß nur der Augenschein maßgebend sein kann. In Wirklichkeit scheint sich allerdings in der islamischen Welt kaum jemand mehr danach zu richten. Auch im Islam besteht die Notwendigkeit, Daten über einen geraumen Zeitraum im Voraus zu kennen. Bei der Organisation der Hadsch zum Beispiel dürfte es zu größeren organisatorischen Schwierigkeiten kommen, wenn die genauen Termine erst 14 Tage vorher festgelegt werden können, und auch der Privatmann dürfte großes Interesse daran haben, bei seinen Planungen die Lage der Feiertage rechtzeitig berücksichtigen zu können. Im Voraus gedruckte Kalender werden daher meistens als rechtsverbindlich betrachtet. So verständlich ein derart pragmatisches Vorgehen auch ist, den religiös-rechtlichen Vorschriften widerspricht es.
Je nachdem wieweit eine Berechnung von Daten religiös-rechtlich akzeptabel ist, wäre danach zu klären, ob der neue Monat nur dann als angebrochen zu betrachten ist, wenn das Neulicht nach naturwissenschaftlichen Erkenntnissen eindeutig sichtbar sein müßte, es aber infolge schlechten Wetters oder anderer widriger Umstände tatsächlich nicht gesehen werden kann, oder ab dies auch für Gebiete gilt, die im Grenzbereich zwischen Sichtbarkeit und Nicht-Sichtbarkeit des Neulichtes liegen und für die daher eine exakte vorhersage nicht möglich ist.
Eine Sonderstellung sowohl bei der Festlegung des Tagesanfangs und somit auch der Gebetszeiten wie auch bei der Bestimmung des Monatsanfangs nehmen die Gebiete im hohen Norden und im tiefen Süden ein. Bezüglich des Tagesanfangs scheint für diese Regionen eine Ausnahmeregelung allgemein religiös-rechtlich akzeptiert zu sein, liegen die Probleme hier doch ganz offen zutage. In extremen Fällen, nämlich an den Polen selbst, geht die Sonne ja innerhalb eines (tropischen) Jahres nur einmal auf und unter, nämlich am 21. März und am 23. September. Dieser Sachverhalt bringt natürlich jeden auf Himmelsbeobachtung basierenden Kalender durcheinander:
The rational solution, which has now been approved by the assemblies of the ulema of different Muslim countries is the following: The Quran (2/286) has laid down that "God tasketh not a person if not according to its capacity." And again (94/5-6): "Because with the difficulty there is a facility. Verily with the difficulty there is a facility." And the Prophet has not only confirmed it by demanding his subordinate and delegates: "Facilitate, do not cause difficulties and do not cause people to detest (the Islamic law), but treat people like brothers." Apart from these general direction, the Prophet has even replied to the question of abnormally long days in an apocalyptic Hadith, reported by Muslim, Abu Dawud, Tirmidhi, Ibn Majah and others: |
"When the Dajjal (literally the great deceiver) comes to mislead people, he will remain on the earth for forty days, one of which as long as a year, the second as long as a month, the third as long as a week, and the remaining days as your normal days. One of the Companions rose to demand: On the day which will be as long as a year, would it suffice to celebrate only five services of worship of the day? The Prophet replied: No, but calculate." |
The first day described here resembles the conditions abtaining an 90 parallel North or South, i.e. on the two poles; the second day those a little south of 68 of the Northern hemisphere, and the third a little south of 66 parallel. Basing themselves on this direction of the Prophet, the assemblies of Muslim ulema have commanded to follow in such condition the movement of the clock and not of the sun; and to facilitate the task, they command to follow the times obtaining an 45 parallel for countries lying betwenn this point and the pole. [ 14 ] |
Diese hier zitierte religiös-rechtliche Begründung für die Gültigkeit der Daten des 45. Breitengrades auch für nördlichere Gebiete (bzw. südlichere Gebiete für Regionen südlich des Äquators) im Hinblick auf Tagesanfang und Zeit kann nicht ohne weiteres auch auf die Problematik des Monatsbeginns übertragen werden. Allerdings treten hier die Schwierigkeiten auch nicht in einer derartigen Schärfe zutage, denn in gewisser Hinsicht galt von Anfang an bei der Bestimmung des Monatsanfangs eine Art Berechnung. Kein Monat kann ja mehr als 30 Tage dauern, Fehler, die dadurch auftreten, daß der neue Mond über mehrere Monate hinweg nicht sichtbar war, können deshalb nie allzu groß werden und werden immer dann sofort ausgeglichen, wenn der Mond wieder sichtbar ist.
Man muß allerdings fragen dürfen, ob es überhaupt nach islamischer Rechtsauffassung erwünscht oder erlaubt ist, daß gleichzeitig auf der Erde verschiedene Datierungen vorhanden sind. Wie erwähnt gibt es im abendländischen Kalender für einen bestimmten Zeitpunkt immer nur zwei um einen Tag differierende Datierungen auf der gesamten Erde, mit dem 180. Längengrad und dem Längengrad, an dem es gerade 0.00 Uhr ist als Grenzlinien. Nach den für den islamischen Kalender gültigen Regeln muß es gleichzeitig auf Erden selbst für Gebiete in gemäßigten Breiten mindestens drei verschiedene Datierungen geben.[ 15 ] Hierbei spielt es keine Rolle, ob man den Monatsanfang berechnet oder durch Augenschein bestimmt. In ersterem Falle hätte man lediglich klarere Grenzlinien für die verschiedenen Datierungen.
In diesem Zusammenhang erhebt sich auch die Frage, wie groß das Gebiet sein kann oder sein muß, für das jeweils das gleiche Datum Gültigkeit hat. Nach traditioneller Rechtsauffassung gilt, daß, wenn an irgendeiner Stelle der neue Mond gesehen wurde, dann "für diesen Ort und die ganze Umgebung"[ 16 ] der neue Monat begonnen hat. Was geschieht nun, wenn zum Beispiel in Ostanatolien das Neulicht (theoretisch und tatsächlich) nicht sichtbar ist, in der Westtürkei der Mond jedoch beobachtet wird. Hat es dann innerhalb eines Staates zwei verschiedene Kalender zu geben, und wenn ja, wo liegt die genaue Grenzlinie? Wenn man aber möchte, daß es innerhalb eines Staates auch nur eine Datierung gibt, dann muß man auch in Kauf nehmen, daß unter Umständen eine mehr oder weniger große Zahl von Gläubigen ihre Feste nicht exakt nach den Vorgaben feiert, die bisher als vorgeschrieben galten. Akzeptiert man dies aber, so stellt sich die Anschlußfrage, ob es wünschenswert sei, daß die gesamte muslimische Gemeinschaft auf Erden sich des gleichen Kalenders bedienen solle. Es kann immer nur eine Alternative geben: Entweder hält man sich strikt an die religiösen Vorschriften, was bedeuten würde, daß es mehrere islamische Datierungen nebeneinander geben würde, die im Extremfall dann jeweils nur für eine Ort oder eine Region Gültigkeit haben, oder man wünscht einen einheitlichen Kalender für eine Staat, einen Erdteil oder auch für die gesamte Erde und nimmt in Kauf, daß es kleinere oder größere Regionen gibt, für die dieser Kalender nicht exakt dem entspricht, was man bislang als religiöse Vorschrift betrachtete.
Sollten die islamischen Rechtsgelehrten zu dem Ergebnis kommen, eine einheitliche islamische Datierung auf Erden sei erlaubt, wünschenswert oder gar im Interesse der Einheit des Islams vorgeschrieben, dann wäre als nächstes zu überlegen, welchen Kalendertyp man benutzen solle. Ein aufgrund astronomischer Berechnungen erstellter Kalender hätte sicher den Vorteil, daß die Schalttage am Monatsende so gelegt werden können, daß er in der Regel für den größeren Teil der Muslime zutrifft. Wie groß dieser Prozentsatz dann in Wahrheit sein mag, kann niemand vorhersagen. Akzeptiert man jedoch die Tatsache, daß ein einheitlicher islamischer Kalender nie für alle Regionen gleichermaßen gültig sein kann, so ist es legitim, darüber nachzudenken, ob man nicht den altehrwürdigen zyklischen islamischen Kalender mit Epoche 16. Juli 622 als rechtsverbindlich einführen sollte. Dieser Kalender bringt in der heutigen Zeit eine frappierend genaue Übereinstimmung mit dem schwer zu berechnenden Mondlauf. Sicherlich sind die Abweichungen größer als bei einem astronomisch berechneten Kalender, man kann aber davon ausgehen, daß es in der Regel immer auf Erden eine Region gibt, für die er genau zutrifft, mag dieses Gebiet auch noch so klein sein.
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[ 1 ] Ilyas (1983), hier besonders Teil 2 (Islamic Culture 57), S. 93 ff.
[ 2 ] So heißt es in einer in der Islamischen Republik Iran veröffentlichten Informationsschrift über den Islam: "The jurist-theologians of Islam affirm in general that the hours at 45° parallel remain valid upto 90° parallel, i.e. upto the poles; and in the regions, comprised between 45° and 90°, one is to follow the movement of the clock and not that of the sun." (Hamidullah 1982, S. 63). Im gleichen Werk (S. 211 findet sich auch der Versuch einer religiös-rechtlichen Begründung dieser Vorschrift. Zurückgegriffen wird dabei u.a. auch auf einen "apocalyptic Hadith". Ob den in Hamburg lebenden Iranern bekannt ist, daß sie sich beim Fastenbrechen und bei den Gebetszeiten nach den Verhältnissen von Turin zu richten haben, muß allerdings bezweifelt werden. Auch erscheint fraglich, ob die im Anhang dieses Buches angegebene Zeittafel für diese "abnormal zones" allen Muslimen hilfreich ist, findet sich doch kein Hinweis darauf, daß mit der angegebenen Zeit immer die mittlere Ortszeit gemeint sein muß. In Hamburg differieren Ortszeit und Mitteleuropäische Zeit um ganze 40 Minuten.
[ 3 ] vgl. hierzu beispielsweise die Ausführungen über ein osmanisches Ruzname von Dahncke (1987), Dahncke-Kornrumpf (1988) und Bär (1990).
[ 4 ] Juynboll (1919), S. 118 - 119
[ 5 ] Derartige Tabellen finden sich für die Vergangenheit u.a. bei Ginzel (1914).
[ 6 ] Fotheringham (1910)
[ 7 ] Schmidt (1868)
[ 8 ] verwiesen sei u.a. auf Maunder (1911) und Bruins (1977)
[ 9 ] siehe hierzu die Skizzen bei Ilyas (1983)
[ 10 ] Ilyas hat verschiedene Möglichkeiten durchgespielt. Besonders groß werden die Schwierigkeiten, wenn man das Problem der Datumslinie mit ins Spiel bringt. Ilyas (1983), Teil 2, S. 96 ff.
[ 11 ] Ilyas, op. cit., Teil 2, S. 91 - 92
[ 12 ] Zu denken ist hier insbesondere an Sure 10, Vers 5 und 6; Sure 9, Vers 35 - 37 und Sure 2, Vers 189.
[ 13 ]
Wohin es führt, wenn naturwissenschaftlich wenig vorgebildete Theologen mit Gläubigen, die weder von Naturwissenschaften noch von Theologie viel verstehen, über Kalenderfragen diskutieren, zeigen die Ergebnisse der vom 27. - 29. November 1978 in Istanbul abgehaltenen Konferenz über Methoden zur Bestimmung des Monatsbeginnes und der Festlegung der Feiertage.
[ 14 ] Hamidullah (1982), S. 210 - 211
[ 15 ] vergleiche Ilyas (1983), Teil 2, S. 95 ff
[ 16 ] siehe z.B. Juynboll (1919), S. 419
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